Lärm am Immobilienmarkt
Lärm ergibt sich aus dem Zusammenspiel physikalischer Bedingungen und individueller Bewertung. Lärmbelastung hat enorme gesellschaftliche Relevanz und spielt eine wesentliche Rolle in der Preisgestaltung am Immobilienmarkt. Hans-Peter Ster, Universität Innsbruck, setzt sich in seiner preisgekrönten Arbeit mit den Auswirkungen von Lärmbelästigung auf Liegenschaftspreise auseinander.
Lärm ist einer jener Faktoren, der von jeder Person auch ohne komplizierte Messgeräte wahrgenommen und eingeschätzt werden kann. Daher ist die Lärmbelästigung mit auch einer der entscheidendsten Faktoren bei der Wahl des Wohnortes. Die Bereitschaft, mehr Geld zu bezahlen, um eine Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Lärm zu vermeiden, ist groß. Für „leise“ Wohnungen wird in Tirol gerne tiefer in die Tasche gegriffen: Der Preis ruhiger Wohngegenden liegt bis zu vierzig Prozent über dem Durchschnitt gleichwertiger Immobilien in unvorteilhafter gelegenen Gebieten: „Die Preisdifferenzen zwischen lauten und leisen Liegenschaften können beträchtliche Werte annehmen und haben somit einen wesentlichen Einfluss auf individuelle, betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Entscheidungen“, betont Ster die gesamtgesellschaftliche Bedeutsamkeit des Faktors Lärm. Lärm verursacht Kosten bei dem, der ihm ausweichen möchte oder vermeiden muss. Betriebe müssen leisere und somit wesentlich teurere Verfahren einsetzen, um Grenzwerte nicht zu überschreiten, die durch Verkehrslärm oder laute Betriebe in der Umgebung ausgeschöpft wurden. Schutzmaßnahmen wie Lärmschutzwände sind kostenintensiv und werden kontrovers diskutiert.
Objektive Bewertung einer subjektiven Wahrnehmung
Die physikalische Messung von Schall stellt keine große Herausforderung dar, äußerst problematisch ist allerdings die Wertung des Lärms. „Jede Messung bringt Streuungen mit sich, die auf die individuelle und subjektive Wahrnehmung des Menschen zurückzuführen ist“, erklärt Ster die Schwierigkeiten. Fraglich bleibt nun allerdings, auf welchen Kriterien die Preisbildung für Immobilien aufbaut, nachdem eine objektive und wissenschaftlich fundierte Bewertung kaum möglich ist. „Das Preisniveau am Markt kann als ‚kollektiv-subjektiv‘ beschrieben werden, denn es muss einen gewissen gesellschaftlich wahrgenommenen Lärm geben, damit er sich auf den Wert einer Liegenschaft auswirkt.“ Ein einzelner Mensch zähle hier nicht, verdeutlicht Ster. Die gesellschaftlichen Erwartungen an die Lärmkulisse an einem bestimmten Ort und dessen negative oder positive Abweichungen ergeben den Preis. Wissenschaftlich nachvollziehbare Bewertungskriterien, die sich auch in der Preisgestaltung am Immobilienmarkt wiederfinden, fehlen nach wie vor. Was bleibt, sind damit verbundene Unsicherheiten am Markt.
Lärmsituation im Tiroler Inntal
Um die Problemfelder zu verdeutlichen, wurde im Rahmen der Arbeit eine empirische Erhebung an Liegenschaften des Tiroler Inntales durchgeführt. „Dieser Ballungsraum zeichnet sich durch zwei Aspekte aus, die besonders gute Beobachtungsmöglichkeiten bieten: hohe Preise und hohe Lärmkonzentration“, erläutert Ster, warum er diesen Bereich in den Mittelpunkt stellte. Anhand der Inntal-Autobahn und dem damit verbundenen Mautsystem lässt sich die Problematik besonders gut veranschaulichen. Jene Verfahren, die zur Berechnung der Maut herangezogen werden, korrelieren gut mit der Höhe der am Immobilienmarkt vorherrschenden Preisdifferenzen. Hans-Peter Ster ermittelte hier allerdings massive Schwankungen und nicht gänzlich erklärbare Abweichungen, die der Bevölkerung zum Nachteil gereichen. „Gegen den Nachbarn, der Lärm produziert, kann ich mich wehren, gegen eine bereits bestehende Autobahn habe ich im Normalfall keine Handhabe“, verdeutlicht Ster und sieht das ökonomische Gleichgewicht in Gefahr: „Die Republik Österreich kann Lärm emittieren, ohne dafür Schadensersatz zu leisten. Die möglichen Einnahmen aus den Mautentgelten werden nicht umverteilt. Die Kosten tragen daher die lokal Beeinträchtigten“.
Nachholbedarf in der wissenschaftlichen Beurteilung
Die monetäre Bewertung von Lärm steckt noch in den Kinderschuhen. Ster verfolgte mit seiner Arbeit das Ziel, aktuelle Problemfelder in der Region aufzudecken und den europäischen Status-quo festzuhalten. Angesichts der Komplexität hinsichtlich der Bewertung der Lärmbelästigung hält sich der wissenschaftliche Output bislang in Grenzen. „Ich würde mir ein stärkeres Zusammenwirken der Disziplinen Technik, Recht und Wirtschaft wünschen, um für die Zukunft ausgewogene Rahmenbedingungen zur Bewertung von Lärm schaffen zu können“, sagt Ster.
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