Einkaufsberatung Inverto: Aktuelle Studie zum Rohstoffmanagement erschienen
Risiko Rohstoffe: Unternehmen fürchten steigende Preise und Versorgungsengpässe
Immer noch Nachholbedarf beim strategischen Rohstoffeinkauf
Deutsche Unternehmen schwanken beim Rohstoffmanagement derzeit zwischen Wunsch und Wirklichkeit: In der jährlichen Rohstoffstudie der Einkaufsberatung Inverto betonen die rund 200 befragten Einkaufsleiter sowie Geschäftsführer und Vorstände fast unisono den großen Einfluss der Rohstoffkosten auf ihren Unternehmenserfolg. Dies gilt sowohl für das kurzfristige Ergebnis als auch für die langfristige Sicherung der Marktposition. Die soeben veröffentlichten Ergebnisse der diesjährigen Studie zeigen aber auch, dass die Befragten zugleich wenig strategisch im Rohstoffeinkauf handeln – trotz sich abzeichnender Versorgungsengpässe und erwarteter weiterer Preissteigerungen. Sie setzen nach wie vor auf konventionelle Werkzeuge im Rohstoffeinkauf. Bei den Vereinbarungen mit Lieferanten sinken die Laufzeiten für Festpreise. Vor allem bei der Bündelung mit anderen Marktpartnern und beim Finanz-Hedging liegen große Potenziale brach. Dem starken Preisanstieg haben die Unternehmen insgesamt immer noch wenig entgegen zu setzen, und so werden die Rohstoffkosten soweit möglich an Kunden durchgereicht oder schlagen sich im eigenen Ergebnis nieder: Die operativen Margen sinken spürbar. Für die Studienautoren und Inverto-Rohstoffspezialisten Jan Müller-Gödeke und Jens Kiebler ist klar: „Die Herausforderungen im Rohstoffmanagement sind noch einmal größer geworden. Langfristig muss es deutschen Unternehmen gelingen, zu den Entwicklungen an den Rohstoffmärkten starke Gegenpositionen aufzubauen. Neben der Beschaffung betrifft dies auch ein effektives Preis- und Risikomanagement zwischen Einkauf und Verkauf sowie Teile der Produktentwicklung.“
Spätestens seit der letzten Preis-Hausse auf den Rohstoffmärkten 2008 ist das Bewusstsein für die strategische Bedeutung des Rohstoffeinkaufs in den Unternehmen gestiegen. Die aktuelle Studie der Einkaufsberatung Inverto zum Rohstoffmanagement zeigt, dass die befragten Entscheider der Entwicklung von Rohstoffpreisen als Einflussfaktor auf das Geschäftsergebnis aktuell oberste Priorität beimessen (91 Prozent) – noch deutlich vor den Faktoren Konjunkturaussichten sowie Wettbewerbsdruck.
Angst vor Versorgungsengpässen
Die Studienteilnehmer fürchten aktuell und zukünftig Versorgungsengpässe in ihren Rohstofflieferketten. Systemische Rohstoffknappheit wie bei Spezialmetallen (Seltene Erden) beschäftigen Unternehmen dabei ebenso wie kurzfristige Beschaffungsengpässe etwa für Gerste und Hopfen. Als Ursachen für zukünftige Versorgungsengpässe gelten neben dem erwarteten Bevölkerungswachstum vor allem globale Schocks wie Naturkatastrophen oder die Änderung politischer Machtverhältnisse. Gut ein Drittel der Befragten sieht zudem für ausschließlich in Europa produzierende Unternehmen langfristig einen Standortnachteil hinsichtlich der Rohstoffversorgung. Insgesamt könnte sich die Rohstoffversorgung im ressourcenarmen Deutschland zu einem immer größeren Risiko entwickeln: Schließlich machen die Rohstoffkosten bereits heute im überwiegenden Teil der Unternehmen mehr als 30 Prozent der gesamten Kosten aus. Immerhin erwarten die Befragten in den kommenden Monaten in Summe keine negativen Auswirkungen auf Wachstum und Marktanteil.
Langfristige Gegenmittel bei Versorgungsengpässen:
Marktkräfte statt Staat
Langfristig versucht gut die Hälfte der Unternehmen (47 Prozent) nach eigener Aussage Versorgungsengpässe durch die Erschließung neuer, zusätzlicher Lieferquellen zu verhindern. Die Reduzierung des Materialeinsatzes sehen weitere 21 Prozent als effektive Gegenmaßnahme. Kurzfristiger orientieren sich weitere 17 Prozent der Befragten und erhöhen ihre Lagermengen. Standortverlagerungen dagegen bilden bislang die große Ausnahme (ein Prozent) und dies, obwohl viele Unternehmen mit der Produktion ausschließlich in Deutschland Standortnachteile sehen.
Als weitere Alternative bietet sich die gebündelte Beschaffung der Rohstoffbedarfe an, um durch gestiegene Einkaufsmacht Verfügbarkeit und Preis positiv zu beeinflussen. Keines der befragten Unternehmen würde dabei allerdings staatliche Initiativen bevorzugen. Die große Mehrheit der Befragten (86 Prozent) würde ihre Rohstoffbedarfe mit anderen Unternehmen, davon sogar 26 Prozent mit einem direkten Wettbewerber (26 Prozent) bündeln. Dagegen schließen 13 Prozent die Bündelung ihrer Rohstoffbedarfe mit Dritten aus.
Sinkende Margen: Steigende Rohstoffpreise
werden jetzt an Kunden durchgereicht
Es zeigt sich, dass es gerade einmal jedem zehnten Unternehmen gelingt kurzfristige Preisforderungen der Lieferanten effektiv abzulehnen. War während der letzte Rohstoffhausse 2008 anfangs noch große Zurückhaltung bei der Forderung nach Preiserhöhungen zu beobachten, gehen viele Unternehmen nun forscher ans Werk: Aktuell bleibt vielen Unternehmen keine andere Möglichkeit als die Mehrkosten an die Kunden weiterzureichen. Da dies jedoch nur teilweise gelingt, sinken unterm Strich derzeit die operativen Margen. Dieser Effekt setzt sich über die gesamte Wertschöpfungskette fort. Nach mehrheitlicher Einschätzung der Teilnehmer werden sich die Preissteigerungen an den Rohstoffmärkten in den kommenden 18 Monaten noch fortsetzen.
Wenig Fantasie: Im Rohstoffeinkauf dominieren
nach wie vor traditionelle Stellhebel
Als Hauptstellhebel zur Absicherung vor Preisveränderungen gilt nach wie vor der Abschluss von Langzeitpreisverträgen. Gerade diese jedoch wollen oder können Lieferanten immer seltener eingehen. Zwar sagen 73 Prozent der Studienteilnehmer, dass sie steigende Rohstoffpreise durch langfristige Preisfixierungen mit Lieferanten abfedern. Auf der anderen Seite räumen aber 60 Prozent der Befragten ein, dass sich die akzeptierte Zeitspanne für Festpreise verkürzt habe. 47 Prozent haben Preisvereinbarungen mit Preisgleitklauseln für Rohstoffkosten getroffen. „Nach unserer Erfahrung sind bei den Laufzeiten für Festpreise inzwischen im Durchschnitt drei Monate üblich, wir haben es also fast mit einem Spot-Geschäft zu tun“, so Inverto-Rohstoffexperte Jens Kiebler. „Insgesamt sind diese teils widersprüchlichen Aussagen zu Festpreisen und Laufzeiten ein deutliches Indiz für den Nachholbedarf im Einkauf. Strategisches Vorgehen mit dem richtigen Mix der Einkaufsinstrumente verbessert die Verhandlungsposition“, erläutert Jan Müller-Gödeke, Principal und Rohstoffspezialist bei Inverto.
Ersatz von Materialien und mehr Ressourceneffizienz nehmen zu
Merklich zugenommen haben – wenn auch auf niedrigem Niveau – langfristige Bemühungen der Unternehmen die Ressourceneffizienz zu steigern oder Materialien zu substituieren. Vergleichsweise stark hinken hier lediglich die Maschinen- und Anlagenbauer hinterher. Dazu Inverto-Experte Müller-Gödeke: Das Mittel der Materialsubstitution ist noch längst nicht ausgeschöpft, wird aber häufig als zu aufwändig eingeschätzt. Gerade der Einkauf kann den Kollegen aus der Entwicklungsabteilung wertvolle Kontakte zu leistungsfähigen Partner zeigen. Dies erfordert aber eine frühzeitige, enge Zusammenarbeit zwischen Entwicklung und Einkauf.“
Unbekanntes Terrain: Finanz-Hedging
Finanz-Hedging wird nach wie vor vergleichsweise selten durchgeführt. Es beschränkt sich im Wesentlichen auf Nichteisenmetalle, Edelmetalle, Strom und Weizen. Dies ist teils darauf zurückzuführen, dass für einige andere Rohstoffe keine liquiden Terminmärkte zur Verfügung stehen. Im Wesentlichen ist das geringe Aktivitätsniveau aber auf fehlendes internes Know-how und übertriebene Zurückhaltung seitens der beschaffenden Unternehmen zurückzuführen. Zudem sicherten selbst Unternehmen, die Hedging betrieben, in der Regel (~50 Prozent) weniger als 20 Prozent ihres gesamten Bedarfs der entsprechenden Rohstoffe ab. Der Absicherungshorizont liegt hierbei außerdem typischerweise (~75 Prozent) unter zwölf Monaten, so dass der Gewinn an Planungssicherheit in den meisten Fällen gering ausfallen dürfte. Einkaufsberater Kiebler plädiert für eine intensivere Beschäftigung mit Hedging: „33 Prozent der Studienteilnehmer sagen, Hedging lohne sich aufgrund des geringen Rohstoffanteils am Einkaufsvolumen nicht. Ob Hedging sich lohnt, hängt aber eher von der Risikoaffinität als vom Einkaufsvolumen ab. Auch für mittelständische Unternehmen ist Hedging eine interessante Möglichkeit, um große Preisschwankungen auszugleichen.“
Trotz anspruchsvoller Rohstoffmärkte und drohender Versorgungsengpässe sieht Müller-Gödeke insgesamt für die Unternehmen im Rohstoffmanagement durchaus Spielraum: „Mit einer professionellen Strategie im Rohstoffeinkauf können sich Unternehmen deutlich besser aufstellen. Dies erfordert einen unternehmensweiten Ansatz, der an vielen Stellen auch externe Partner einschließt. Voraussetzung ist die eigene Einschätzung der Situation am Rohstoffmarkt. Zudem muss man seine Produkte hinsichtlich des Rohstoffeinsatzes und somit die Rohstoffabhängigkeit genau kennen. Nicht zuletzt ist die Harmonisierung der Preisfindung zwischen Einkaufs- und Verkaufspreisen wichtig. Eine ganzheitliche Risikostrategie für das Rohstoffpreismanagement, das Kernlieferanten und Kunden einschließt, ist die Königsdisziplin.“