Neue A.T. Kearney-Studie: Zubau von Kraftwerkskapazitäten insbesondere in Süddeutschland erforderlich – Einführung eines regionalen Kapazitätsmarktes kann Abhilfe schaffen
Kapazitätsmarkt kann bis 2020 drohende Versorgungslücke in Süddeutschland schließen
Bis zum Jahr 2040 müssen in Deutschland mehr als 50 Gigawatt (GW) an Kraftwerksleistung zugebaut werden. Insbesondere in Süddeutschland gibt es aber bereits heute akuten Handlungsbedarf: Bis 2020 ist dort mit einer Versorgungslücke von 6 GW zu rechnen – selbst dann, wenn die verfügbaren Importkapazitäten genutzt werden. In Norddeutschland hingegen besteht bis nach 2020 noch kein Bedarf an zusätzlichen Erzeugungskapazitäten. Der Ausbau der Stromnetze, verfügbare wirtschaftliche Stromspeichermöglichkeiten und Maßnahmen zum Demand-Side-Management werden den Bedarf beim derzeitigen Marktdesign nicht kompensieren können. Hinzu kommt, dass der Ausbau der Wind- und Solarenergie die derzeitige Situation sogar noch verschärfen wird. Flexible Erzeugungskapazitäten wie Gas- und Dampf-Kombikraftwerke (GuD), die die Lücke schließen könnten, sind derzeit nicht wirtschaftlich. Dies zeigt eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Die Einführung eines wettbewerblichen Kapazitätsmarktes schafft neue Investitionsanreize und trägt so maßgeblich zum Gelingen der Energiewende bei.
„Betrachtet man Deutschland insgesamt, sind zwar in den nächsten Jahren noch ausreichende Kraftwerkskapazitäten vorhanden. In Süddeutschland werden bis 2020 jedoch Kapazitäten fehlen“, sagt Florian Haslauer, Partner bei A.T. Kearney und Leiter des europäischen Beratungsbereiches Energiewirtschaft. Während der Studie zufolge in Norddeutschland auch bei konservativer Betrachtung bis 2020 kein Zubau notwendig ist, besteht im süddeutschen Raum – Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Saarland, Rheinland-Pfalz und Thüringen – akuter Handlungsbedarf. Bereits heute ist die verfügbare Kapazität in dieser Region nicht ausreichend, um den Spitzenbedarf abzudecken. Dies macht Importe beziehungsweise neue Kapazitäten erforderlich.
„Bis 2020 müssen im süddeutschen Raum mindestens 6 GW zusätzlich erzeugt oder bedarfsseitig reduziert werden, um die Versorgungssicherheit aufrechterhalten zu können“, sagt Kurt Oswald, Partner im Bereich Energiewirtschaft und Leiter der Studie. Neben den aus wirtschaftlichen und Altersgründen zu erwartenden Abschaltungen thermischer Kraftwerke in diesem Zeitraum gilt es auch, bei einem erwarteten Stromverbrauchswachstum von 0,6 Prozent in der Region den weiteren Wegfall von knapp 4 GW an Kernkraftkapazitäten zu kompensieren.
„Die Folgen eines Blackouts sind nicht zu unterschätzen“, so Haslauer: „Würden zum Beispiel in Bayern für 24 Stunden die Lichter ausgehen, entstünde ein volkswirtschaftlicher Schaden von schätzungsweise 1,5 Milliarden Euro.“
Leitungsbau und nachfrageseitige Maßnahmen nicht ausreichend
„Auch der Zubau von mehr als 9 GW an Leitungskapazitäten, die notwendig sind, um die Integration der Windenergie zu verbessern, wird nicht ausreichend sein“, sagt Oswald und ergänzt: „Da Windstrom nicht jederzeit verfügbar ist, ist es umso wichtiger ergänzend sicher abrufbare Kapazitäten vorzuhalten.“ Heute verfügbare Speichertechnologien wie Pumpspeicherkraftwerke tragen zur Lastglättung bei und ersetzen somit notwendige Kapazitäten nur eingeschränkt, wobei auch das Zusatzpotenzial in Deutschland mit 2,8 GW an Kraftwerkskapazität gering ist. Technische Demand-Side-Management-Potenziale können bis 2020 nur geringfügig wirtschaftlich ausgeschöpft werden und werden der A.T. Kearney Studie zufolge keinen bedeutenden Beitrag leisten können.
Um die Kapazitätslücke insbesondere im süddeutschen Raum zu schließen, führt am Ausbau von Gaskraftwerkskapazitäten kein Weg vorbei“, so Oswald.
Gaskraftwerke unprofitabel – aktuelles Marktdesign ist zu überdenken
Allerdings zeigen die Wirtschaftlichkeitsrechnungen ein düsteres Bild. So ergibt sich Berechnungen von A.T. Kearney zufolge für eine flexibel einsetzbare 800 Megawatt GuD-Anlage ohne Kraft-Wärme-Kopplung ausgehend von einem Investitionsvolumen von ungefähr 750 Millionen Euro und über die gesamte Laufzeit gesehen ein Fehlbetrag von 300 bis 350 Millionen Euro. Dieses Ergebnis wird sich auch in Zukunft nicht verbessern – im Gegenteil: Durch den Ausbau von Wind und Solar wird sich die Situation noch verschärfen, da die Betriebsstunden der Kraftwerke weiter abnehmen werden. Das kann auch durch die erwartete Zunahme der Stunden mit Spitzenpreisen nicht kompensiert werden.
Die Studie zeigt aber Auswege aus dem augenscheinlichen Dilemma auf: „Das aktuelle Marktdesign, das im Wesentlichen nur der produzierten Strommenge einen Wert beimisst, ist unter diesen Rahmenbedingungen nicht mehr ausreichend“, sagt Haslauer und ergänzt: „Es ist daher ein Marktmodell notwendig, das entweder die jeweilige regionale Angebots- und Nachfragesituationen besser abbildet oder ein ergänzendes Marktdesign, das den Wert der verfügbaren Kapazität abbildet.“ Flexible Gaskraftwerke werden allerdings immer notwendiger, um die stark wachsenden Kapazitäten der erneuerbaren Energien bereits jetzt und auch mittelfristig integrieren zu können.
Kapazitätspreise: 20.000 bis 35.000 Euro je Megawatt und Jahr
Wettbewerbliche Kapazitätsmärkte können Anreize für den Bau von Kraftwerkskapazitäten liefern. Dies zeigt sich beispielsweise in den USA. Dort sind Preisspannen von 20.000 bis 35.000 Euro pro Megawatt und Jahr zu beobachten – in einzelnen Jahren und Regionen auch deutlich mehr. „Für eine 800 MW GuD-Anlage bedeutet das auf Deutschland übertragen Mehreinnahmen von 16 bis 28 Millionen Euro“, erklärt Oswald. Um deren wirtschaftlichen Betrieb zu garantieren, müssten die Kapazitätszahlungen aus heutiger Sicht allerdings höher ausfallen.
„Die Einführung eines wettbewerblichen Kapazitätsmarktes hätte auch direkte Auswirkungen auf den Strompreis. Durchschnittlich könnte dies zusätzlich 0,6 Cent pro Kilowattstunde ausmachen“, so Oswald: „Gemessen an der stark steigenden EEG-Umlage von derzeit 3,59 Cent pro Kilowattstunde fällt diese zusätzliche Belastung aber eher gering aus.“
Diese Kosten könnten jedoch durch die erwartete Reduktion der EEG-Vergütungssätze besonders bei Solar oder einer Umstellung von einem preis- auf ein mengenbasiertes Anreizsystem für erneuerbare Energien kompensiert werden.
Von Kapazitätsausschreibungen zu einem optionsbasierten Kapazitätsmarkt
Für die Einführung eines wettbewerblichen Kapazitätsmarktes müssen etwa zwei bis drei Jahre Vorbereitungszeit einkalkuliert werden – zu lange für den süddeutschen Raum. Zunächst kann daher der Aufbau von flexiblen und CO2-armen Erzeugungskapazitäten durch Kapazitätsauktionen oder von definierten Kapazitätszahlungen über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren erfolgen. Als regulierende Instanz sollte dabei die Bundesnetzagentur fungieren. Parallel dazu sollte in Deutschland ein Kapazitätsmarkt aufgebaut werden, der auf Kapazitätsoptionen basiert und der sich in zwei Kapazitätsgebiete aufteilt. Dabei sollten alle verfügbaren Kapazitäten mit Ausnahme der erneuerbaren Energien – aufgrund der Kostenabdeckung durch das EEG – einbezogen werden. Das Marktdesign schafft aber auch Anreize für die Entwicklung und den Einsatz von Stromspeichertechnologien, die mit zunehmender Bedeutung von Solar und Wind ebenfalls immer wichtiger werden. Zudem können Demand-Side-Management-Maßnahmen einbezogen werden und nachfragebasierte Impulse setzen.
„Neben den klassischen Energieversorgern könnte auch die Industrie am Kapazitätsmarkt mit Maßnahmen zur Reduktion der Spitzenlast teilnehmen“, so Haslauer und erklärt abschließend: „Ein optionsbasierter Kapazitätsmarkt ergänzt den klassischen Energiemarkt und deckt die Fixkosten zur Vorhaltung von Kapazität ab, wenn das der reine Energiemarkt nicht ausreichend ermöglicht.“