Schweiz braucht Schotter

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Bahn fahren und die Strassen benutzen ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Doch ein steinerner Rohstoff, der für diese Verkehrsinfrastrukturen benötigt wird, sorgt seit rund einem Jahrzehnt für Diskussionen.





Christoph Bärtschi bei der Probenentnahme. (Bild: Christoph Bärtschi)



Ein mächtiges Band von Hartgesteinen erstreckt sich entlang des Alpenrandes vom Unterwallis über die Zentralschweiz bis ins St. Galler Rheintal durch die Schweiz. Diese Gesteine, welche zum Teil malerische Landschaften prägen, zeichnen sich durch besonders hohe Druckfestigkeiten und einen hohen Anteil an harten Mineralen aus. Hartgesteine können enorm widerstandsfähig gegen Abrieb und Zerbrechen sein. Deshalb liefern sie beständiges Baumaterial für Bahnstrecken und Strassen. Rund zwei Millionen Tonnen werden in der Schweiz pro Jahr gebraucht. Das sind 810’000 Kubikmeter – eine Menge, die etwa drei Mal das ETH-Hauptgebäude füllen könnte.


Von den zwei Millionen Tonnen werden zwischen 40 bis 50 Prozent im Strassenbau verwendet und 25 bis 35 Prozent zu Bahnschotter verarbeitet. Bahnschotter hoher Qualität hält etwa 40 Jahre und muss dann komplett ausgetauscht werden. Gebrauchter Schotter kann teilweise recycelt werden und gelangt als Schotter mindererer Qualität, oder zu Splitt gebrochen, wieder auf den Markt.


Auf der Suche nach neuen Quellen



Christoph Bärtschi vom Institut für Geochemie und Petrologie der ETH Zürich reiste in den vergangenen Jahren entlang des Hartsteinbandes vom St. Galler Rheintal bis ins Unterwallis, um für seine Doktorarbeit die wichtigste Schotter-Quelle, die Kieselkalke, genau zu untersuchen. Seit etwa zwei Jahren ist der landeseigene Schotter nämlich knapp, weil zum Teil abgelaufene Abbaukonzessionen wegen unterschiedlichen Schutz- und Nutzungsinteressen nicht mehr erneuert werden. Probleme mit Konzessionen gibt es vor allem dort, wo Steinbrüche in Schutzzonen liegen, die zum sogenannten Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) gehören. Laut einem Bundesgerichtsbeschluss aus dem Jahr 2006 dürfen in diesen Gebieten keine neuen Konzessionen erteilt werden, bevor nicht Abbaustandorte ausserhalb von BLN-Gebieten geprüft wurden.


Neue Abbaustellen zu erschliessen sei jedoch nicht so einfach, sagt Rainer Kündig, Leiter der Schweizerischen Geotechnischen Kommission (SGTK) an der ETH Zürich. Abgesehen davon, dass es bis zu 15 Jahre dauere, bis die bürokratischen Hürden genommen und die Infrastruktur zum Gesteinsabbau geschaffen ist, um einen neuen Steinbruch zu erschliessen, müssten die Gesteine vielfältige Anforderungen erfüllen. Angefangen damit, dass es besonders mächtige Gesteinsablagerungen, ohne grössere Störungseinflüsse sein müssen, bis hin dazu, dass sie witterungsbedingt nicht zu hoch über dem Meeresspiegel liegen dürfen und vernünftig erreichbar sein müssen.


Vor Ort prüfte Bärtschi deshalb, ob die Kieselkalke aus geologischer Sicht theoretisch abbauwürdig sind und ob es grössere Qualitätsunterschiede gibt. Kieselkalke sind im Vergleich zu weiteren Hartgesteinstypen, die es in der Schweiz gibt, wegen ihrer weiten Verbreitung und den guten Erfahrungen, die mit diesem Gestein gemacht wurden, sehr bedeutend für die Herstellung von Hartgesteinsprodukten.


Aufwendige Prüfverfahren



Zurück an der ETH prüfte Bärtschi die rund 120 Proben von Kieselkalken, die er auf seiner Reise gesammelt hatte, in aufwendigen Verfahren auf ihre Qualität als Hartgestein. Dabei testete er im Gesteinslabor mit speziellen Geräten deren Druckfestigkeit, Brechbarkeit und Beständigkeit gegen Abrieb. Mit Hilfe von Dünnschliffen bestimmte er die Gesteinsbestandteile. Um als Hartgestein zu gelten, muss das Gestein nämlich einen bestimmten prozentualen Anteil an besonders harten Mineralien wie etwa Quarz aufweisen. In den Dünnschliffen konnte Bärtschi jedoch nicht viel erkennen, da die Gesteine sehr feinkörnig sind. Erst mit der sogenannten Röntgenpulverdiffraktometrie, bei der das Gestein zu feinem Mehl zermahlen wird, können die Mengenanteile der verschiedenen Minerale bestimmt werden. Tatsächlich fand Bärtschi dadurch Kieselkalke, die anhand der Mineralzusammensetzung nicht wirklich als Hartgestein gelten.


Fast immer hielten diese jedoch den technischen Anforderungen stand. «Die Schweizer Kieselkalke zeichnen sich nämlich vor allem dadurch aus, dass sie sich bis zu sehr hohen Belastungen elastisch verhalten, bevor sie zerbrechen», sagt Bärtschi. Das ist besonders beim Bahnschotter wichtig, der sich kantig ineinander verzahnen muss, um einen guten Untergrund für die Schienen zu liefern. Wenn die Steine zu schnell brechen oder sich die Kanten zu schnell abrunden, müssen sie zu häufig ersetzt werden.


Optimales Gerüst



Bärtschi wollte wissen, was der Grund dafür ist, dass die Kieselkalke sich derart elastisch verhalten. Im Rasterelektronenmikroskop untersuchte er das «Skelett» der Gesteine. Mit Salzsäure löste er den Kalk aus dem Gestein. Zurück blieb nur ein schwammartiges Gerüst aus feinstem Quarz, das wie ein kleines Kunstwerk aussieht. «Der Quarz wirkt im Kalkgestein wie eine Armierung», erklärt Bärtschi. Eng miteinander verbunden, verstärken sich Gesteinsmatrix und Gerüst gegenseitig und machen das Gestein besonders fest und elastisch.


Mit seiner Doktorarbeit liefert Bärtschi von geologischer Seite weiterführende Informationen, um potenzielle Hartgesteinsvorkommen in- und ausserhalb von BLN-Gebieten zu charakterisieren. «Dass wir in eine Unterdeckung mit Hartgesteinen kommen werden, sah man bereits vor zehn Jahren», sagt Kündig. Seit 2001 suchen Vertreter aus der Wirtschaft, den Umweltschutzverbänden, dem Bund und den Kantonen sowie der Wissenschaft nach akzeptablen Lösungen – Kündig war seit dem Anfang mit dabei. Hitzige Debatten habe er dort erlebt und erst durch einen Moderator seien die Parteien bereit gewesen sich an den runden Tisch zu setzen. Aufgabe der SGTK ist es, für diesen Dialog – etwa durch Potentialkarten und der Grundlagenarbeit von Bärtschi – Daten zur Entscheidungsfindung zu liefern.


Knappheit vorhersehbar



Aber wie geht es weiter mit dem Abbau? Ohne Neubewilligungen kann die Schweiz bis 2020 nicht einmal mehr die Hälfte ihres Bedarfs aus eigenen Quellen bereitstellen. Der Bund hat deshalb Ende 2008 gehandelt und den Sachplan Verkehr mit Grundsätzen zur Hartgesteinsversorgung ergänzt. Sie gelten für Abbaustandorte von nationalem Interesse und sehen vor, dass langfristig in BLN-Gebieten keine neuen Hartsteinbrüche erstellt bzw. keine bestehenden erweitert werden. Mittelfristig wird nach Übergangslösungen gesucht.


Bärtschi und Kündig liefern mit der SGTK dafür wichtige Entscheidungsgrundlagen und geben geologische Empfehlungen ab. Steinbrüche verändern zwar das Landschaftsbild, aber niemand möchte deswegen auf seine Mobilität verzichten. Vom Importieren der Hartgesteine halten sie wenig. Einerseits, weil die angrenzenden Länder teilweise selbst zu wenig Gestein hätten und mit ähnlichen Problemen punkto Umweltschutz konfrontiert sind. Andererseits, weil die ökonomischen und ökologischen Kosten zu hoch seien, da Hartgesteine definitionsgemäss als Massenrohstoffe mit beschränkter Wertschöpfung gelten.


© 2010 ETH Zürich http://www.ethlife.ethz.ch


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