Stromnetz-Rückkauf: 90 Prozent der kommunalen Ziele scheitern am Fakten-Check
Die Idee einer Rücknahme von Stromnetzen in die öffentliche Hand steht in deutschen Großstädten hoch im Kurs und soll durch Bürgerinitiativen per Volksentscheid den Weg zurück zur Stromversorgung in kommunaler Eigenregie ebnen. Das Problem: Eine genaue Analyse der Netzrückführung zeigt, dass neun der zehn wichtigsten Ziele einer Rekommunalisierung aus rechtlichen oder regulatorischen Gründen verfehlt werden. Das ist das Ergebnis einer Studie der Unternehmensberatung PUTZ & PARTNER in Zusammenarbeit mit der HSBA Hamburg School of Business Administration.
Der Fakten-Check fällt ernüchternd aus: Bei einer Rücknahme der Stromnetze in öffentliche Zuständigkeit wird die Versorgung weder ökologischer noch sicherer oder effizienter als bisher. Auch das Ziel, über den Weg der kommunalen Versorgung künftig den Wettbewerb zu steigern ist nach den Ergebnissen der Untersuchung als viertes der zehn wichtigsten Ziele zum Scheitern verurteilt.
„Eine Erreichbarkeit dieser vier Ziele ist durch die Übernahme der Stromnetze in kommunale Verantwortung vollständig ausgeschlossen“, sagt Stephan Gamm, Energieexperte von PUTZ & PARTNER. „Wichtigster Grund dafür sind rechtlich-regulatorische Hindernisse, die den Wünschen der Kommunen bei der erfolgreichen Umsetzung unverrückbar im Wege stehen.“ Die rechtlichen Vorgaben sind so weitreichend, dass es den Netzbetreibern z. B. durch das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) verboten ist, Einfluss auf den Aufbau von Erneuerbaren Energieanlagen zu nehmen.
Wenig besser sieht es mit den Erfolgsaussichten für günstigere Preise, gesteigerte kommunale Erträge oder eine Stärkung der lokalen Wirtschaft aus. Der Untersuchung zufolge ist die Erreichung dieser Ziele nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber höchst unwahrscheinlich. Das gilt abschließend auch für bessere kommunale Einflussmöglichkeiten sowie Vorteile für das Gemeinwohl. Einzig das Infrastrukturmanagement lässt sich durch die Rückführung in kommunale Verantwortung realistischer Weise verbessern – so die Analyse der Energieexperten.
„Eine Rückführung der Stromverteilnetze in die öffentliche Hand ist nach Faktenlage der Studie in den meisten Fällen nicht sinnvoll“, sagt Dr. Thomas Kuprat, Energieexperte und Mitglied der Geschäftsleitung PUTZ & PARTNER. „Dieses Ergebnis steht erkennbar im Widerspruch zur weit verbreiteten Stimmungslage in der Bevölkerung, die eine Rekommunalisierung tendenziell befürwortet. Für diese Diskrepanz gibt es zwei wesentliche Gründe. Erstens die fehlende Transparenz und hohe Komplexität des Verteilnetzbetriebs im Verbindung mit Aspekten, wie Anreizregulierung, Unbundling und Auswirkung der Energiewende. Und zweitens die eher ideologisch statt fachlich geprägte Diskussion des Themas Rekommunalisierung. Aber eine Entscheidung nach ‚Bauchgefühl‘ ist wenig hilfreich. Nicht zuletzt jüngste Vorhaben wie der neue Berliner Flughafen, die Elbphilharmonie oder das Bahnprojekt Stuttgart 21 machen deutlich, wie wichtig faktengesicherte Prüfungen sind“, so Stephan Gamm.