oWing – ein Strömungskraftwerk nach dem Prinzip des Flügelschlags geht in den Test
Kassel. Das Tragflächen-Strömungskraftwerk oWing geht an der Fulda in den Praxistest: Wissenschaftler der Universität Kassel haben sich vom Flügel- und Flossenschlag der Vögel, Fische und Meeressäuger ein Fortbewegungsprinzip abgeschaut, es in einen Prototyp für die Energieerzeugung technisch erfolgreich umfunktioniert und zum Patent angemeldet. Dank dieser Erfindung lässt sich die in Flüssen oder Meerengen vorhandene Strömungsenergie effizient in elektrischen Strom umwandeln. Auch als Antrieb für Boote und Schiffe könnte die Erfindung neue Maßstäbe setzen.
Die Nutzung der Wasserkraft hat theoretisch ein gewaltiges Potential. Es werde weltweit auf eine elektrische Jahresleistung von etwa 16000 Terawattstunden geschätzt, sagt Professor Dr.-Ing. Martin Lawerenz, Leiter des Fachgebiets Strömungsmaschinen der Universität Kassel. Das entspricht der elektrischen Jahresleistung von 2000 modernen Atomkraftwerken der 1000 Megawatt-Klasse. Doch es gibt einen Haken: Die Standorte für herkömmliche Wasserkraftwerke sind beschränkt, die Technik stößt an ihre Grenzen, neue Verfahren zur Gewinnung von Energie aus den Gezeiten und Strömungen des Meeres sind vielfach noch nicht ausgereift oder schlicht unwirtschaftlich. Ein Beispiel dafür ist die 180 Tonnen schwere Versuchsanlage Stingray in England, die mittels einer aufwändigen, wartungsintensiven Hydraulik, dem Auf und Ab eines von der Meeresströmung angetriebenen, wippenden Kippflügels und eines Generators Strom erzeugt, allerdings nicht zu wettbewerbsfähigen Preisen.
Auch bei der Kasseler Erfindung ist die Tragfläche ein wichtiger Bestandteil. Die Kasseler Wissenschaftler haben aber von Anfang an das Ziel verfolgt, ein Strömungskraftwerk zu bauen, das flexibel einsetzbar ist, die kinetische Energie des Gewässers möglichst effizient in elektrischen Strom umwandelt, mit möglichst geringen Investitions- und Betriebskosten auskommt und umweltfreundlich ist. Pate hat dabei das Fortbewegungsprinzip von Vögeln und Fischen gestanden. Diese erzeugen durch das Schlagen ihrer Flügel und Flossen einen Vorschub und beschleunigen das Wasser oder die Luft in die entgegen gesetzte Richtung. Lawerenz hat dieses Prinzip umgekehrt: Er hat eine Tragfläche gebaut, die vom anströmenden Wasser bewegt wird und die Strömungsenergie mittels eines Hebelarms auf eine Kurbelwelle überträgt, die wiederum ein Schwungrad und einen Generator antreibt.
Vor dem Bau eines Prototyps bestand die Kunst der Wissenschaftler darin, die Bewegungen der Tragfläche im Wasserstrom in Simulationen am Computer so zu steuern, dass sie dessen kinetische Energie optimal an den Generator überträgt. Mit numerischen Verfahren hat
Lawerenz den jeweils besten Anstellwinkel zur Strömungsrichtung ermittelt. Ein umlaufender Seilzug sorgt dafür, dass sich die Tragfläche im Wasser zur Strömung dreht, während der sich hin- und herbewegende Ausleger die Tragflächenkraft auf die Kurbelwelle überträgt. Das Schwungrad dient dazu, die so genannten Totpunkte zu überwinden.
Lawerenz hat mit Unterstützung von Stefan Horn, der momentan seine Masterarbeit schreibt, den Prototyp des Strömungskraftwerks erfolgreich in der Kipprinne der Versuchsanstalt und Prüfstelle für Umwelttechnik und Wasserbau der Uni Kassel getestet. Die dort erzielte Ausbeute an elektrischer Energie, zwei Watt, klingt nur auf den ersten Blick sehr bescheiden: Denn die Tragfläche des Prototyps ist nur so groß wie zwei aneinander gelegte DIN-A4-Blätter. Wenn man den Maßstab verdoppele, steige die Leistung jeweils im Quadrat, sagt der Professor. Im Wasserlabor wird außerdem nur eine Strömungsgeschwindigkeit von maximal 0, 5 Meter pro Sekunde erreicht. Die Leistung steige aber im Verhältnis zum Tempo des Wassers sogar in der dritten Potenz, sagt der Professor.
Lawerenz arbeitet schon an einer etwas größeren Anlage aus Edelstahl. Die soll in Kassel in Zusammenarbeit mit den Städtischen Werken, dem kommunalen Energieversorger, am Kraftwerk Neue Mühle an der Fulda errichtet werden. Dort erwartet der Professor eine elektrische Leistung von etwa 100 Watt. Dabei fließt die Fulda recht träge dahin. Es sei Sache künftiger Investoren geeignete Standorte mit hohen Strömungsgeschwindigkeiten zu suchen, sagt der Professor. Die fänden sich nicht nur in Flüssen sondern auch in Meerengen.
Die Erfindung lasse sich auch als Antrieb verwenden, sagt der Wissenschaftler. Der Tragflügel würde dann an Booten denselben Dienst verrichten, wie die Flossen bei den Fischen. Das könne durchaus energieeffizienter sein, als der herkömmliche Propellerantrieb. Denn bei diesem werde mit relativ hohem Energieeinsatz eine kleine Wassermasse bewegt, während die Tragfläche mit vergleichsweise wenig Energie eine große Masse verdränge.
Reif für die praktische Umsetzung wurde die Erfindung von Lawerenz nur dank eines vor zwei Jahren vom Land Hessen aufgelegten Verwertungsfonds „zur Veredlung und Verwertung von Patenten der staatlichen Hochschulen Hessens“, der den Universitäten die Vermarktung von Innovationen erleichtern soll. Das Fachgebiet Strömungsmaschinen war das erste an der Universität Kassel, das 100.000 Euro Anschubfinanzierung aus diesem Fonds erhalten hat. Die Patenverwertungsagentur GINO hatte den entsprechenden Antrag vorgeschlagen und vorbereitet.