Die Nutzung von Elektro-Lastenrädern im innerstädtischen Güterverkehr birgt ein großes Potential hinsichtlich des Klimaschutzes und der Wirtschaftlichkeit von Kurier- und Expressdienste – zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Instituts für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Mit dem Projekt „Ich ersetze ein Auto“ wurde der Einsatz von Elektro-Lastenrädern im Kurier- und Expressdienst getestet. Die Projektauswertung fand am 6. Mai 2014 im Rahmen der Tagung „iKEP 2014 – Innovationstag der KEP-Branche“ statt, den der Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste e.V. (BdKEP) in Kooperation mit dem DLR veranstaltete.
Das Elektro-Lastenrad als Beitrag für einen umweltfreundlicheren städtischen Güterverkehr
Gefördert durch die Nationale Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums untersuchten die Verkehrsforscher, wie sich Elektro-Lastenräder in den städtischen Kurierdienstalltag integrieren lassen. CO2-Emissionen und umweltbelastendes Verkehrsaufkommen in Großstädten könnte somit entgegengewirkt werden. Auch in Anbetracht der Feinstaubbelastung in deutschen Großstädten wie Stuttgart oder Berlin bildet die Nutzung von Elektro-Lastenrädern eine interessante Maßnahme zur Reduzierung des verbrennungsmotorischen Güterverkehrsaufkommens und somit auch der Feinstaubbelastung darstellen.
Elektro-Lastenräder sind fester Bestandteil der Kurierlogistik
Für das Projekt wurden seit Juli 2012 insgesamt 40 Fahrzeuge vom Typ iBullitt von der Firma „Urban e“ in acht Städten, darunter Berlin, Hamburg und München, eingesetzt. Dabei konzentrierte sich der Einsatz vor allem in innerstädtischen, verkehrlich stark belasteten Gebieten. Die Elektro-Lastenräder wurden sehr gut angenommen und in den Alltag der Kurier- und Expressdienstleistungsunternehmen eingebunden. „Monatlich kamen die Fahrzeuge bei bis zu 8.000 Aufträgen kontinuierlich zum Einsatz“, sagt Johannes Gruber, Projektleiter im DLR-Institut für Verkehrsforschung. Das entspricht über acht Prozent aller von diesen Unternehmen durchgeführten Sendungen. Dabei weisen Lastenrad-Aufträge eine hohe Konzentration in den städtischen Kerngebieten auf. Beispielsweise machen in Berlin die wichtigsten zehn Postleitzahlen-Gebiete (darunter Mitte, Tiergarten, Charlottenburg) 74 Prozent aller Abholungen aus. Im Vergleich dazu werden dort 54 Prozent der Aufträge mit dem Fahrrad und 34 Prozent mit dem Auto realisiert.
Waren Lastenrad-Aufträge früher noch eine Nische, verschicken mittlerweile die Kurierfirmen deutlich mehr Lastenrad-Aufträge. In Berlin verzeichnen sie ein Plus von 43 Prozent. Während es für einige Kunden weiterhin keine Rolle spielt, womit ihre Sendung transportiert wird, fordern andere mittlerweile aktiv das Lastenrad an.
Eine Kurierfahrt mit dem Lastenrad ist durchschnittlich vier Kilometer lang. An einem typischen Einsatztag legen die Lastenrad-Kuriere, elektrisch unterstützt, 90 Kilometer zurück. Im beobachteten Zeitraum (Juli 2012 bis März 2014) sind die Lastenräder zum festen Bestandteil der Kurierlogistik geworden: Bei insgesamt 125.000 Aufträgen wurden etwa eine halbe Million Kilometer im operativen Tagesgeschäft zurückgelegt. Witterungsbedingte Ausfälle, etwa durch Eisglätte, waren nur an einzelnen Tagen zu verzeichnen.
Meinung der Kuriere: Elektro-Lastenräder werden sich langfristig durchsetzen
Neben der Auswertung technischer Daten über Struktur, verwendete Transportmittel und räumliche Lage der Kurieraufträge, befragten die Verkehrsforscher die größtenteils selbständig operierenden Kuriere, um ihre Erwartungen und Erfahrungen bezüglich dieser Fahrzeuginnovation zu untersuchen. Neben den 46 iBullitt-Nutzern, die eines der Projektfahrzeuge im Durchschnitt 13 Monate regelmäßig genutzt haben, dienen die Angaben von weiteren 48 klassischen Fahrradkurieren sowie 77 Autokurieren einer fundierten Bewertung der in der „Kuriercommunity“ herrschenden Einstellung gegenüber der Innovation Elektro-Lastenrad.
In der Befragung hielten neun von zehn Kurieren den Einsatz von Elektro-Lastenrädern in ihren Städten für sinnvoll. Zudem ist die Mehrheit der Befragten jeden Fahrzeugtyps (sowohl Auto-, Fahrrad- als auch Lastenradkuriere) der Meinung, dass sich Elektro-Lastenräder grundsätzlich im Kuriergeschäft durchsetzen werden. „Damit hat sich das bereits positive Bild bestätigt, das die gleichen Kuriere in einer ersten Befragung im Jahr 2012 noch vor der praktischen Einsatzphase der Lastenräder geäußert haben“, erklärt Johannes Gruber.
Mit Ideenreichtum, Innovations- und Lernbereitschaft Chancen erkennen und Potentiale ausschöpfen
Vorteil der Elektro-Lastenräder ist der Transport größerer und schwerer Sendungen, die bisher nur mit dem Auto bewerkstelligt werden konnten. Diesbezüglich gaben 84 Prozent der befragten Lastenrad-Kuriere an, große und schwere Güter zu transportieren, um Autos zu ersetzen.
Neben dem Transport einzelner schwerer Güter, ist die Kombination von mehreren kleinen Sendungen in der Cargobox ein weiterer Vorteil der Lastenräder. Durch die Kopplung von Aufträgen kann der Anteil der sogenannten „Lastkilometer“ (die vom Kunden bezahlte Auftragsdistanz) an der Gesamtfahrstrecke erhöht werden.
Die Kuriere schätzen die größere Flexibilität, mit einem Elektro-Lastenrad vielfältigere Aufträge annehmen zu können. In Kombination mit den niedrigen Betriebskosten bietet dies einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Kurieren und damit höhere Verdienstmöglichkeiten.
Es zeigte sich aber auch, dass die Fahrzeuge noch deutlich intensiver genutzt werden könnten und nicht jeder damit gefahrene Auftrag automatisch eine Kurierfahrt mit dem Auto ersetzt.
Da nur wenige Autokuriere motiviert waren, langfristig auf ein Elektro-Lastenrad umzusteigen, waren die iBullitt-Nutzer vorwiegend frühere klassische Fahrradkuriere. Gerade am Anfang ihrer Nutzungszeit behielten sie häufig ihre gewohnte, kleinteilige Sendungsstruktur bei. Jeder fünfte Lastenrad-Kurier ist auch der Meinung, dass sein Auftraggeber über nicht ausreichend große oder schwere Sendungen verfügt. Mit der Zeit berichten aber viele Nutzer von Lerneffekten, die zu einer besseren Auslastung der Fahrzeuge führt. So stiegen die Auftragszahlen je Lastenradkurier kontinuierlich. Insgesamt gaben die Kuriere an, dass etwa die Hälfte der von ihnen bewegten Güter nicht mit einem herkömmlichen Fahrrad zu transportieren gewesen wäre.
„Um die Elektro-Lastenräder adäquat einzusetzen, sind sowohl die Kuriere als auch die Unternehmen gefragt“, erläutert Johannes Gruber. Der Berliner Wissenschaftler stellt fest, dass „sie Ideenreichtum, Innovations- und Lernbereitschaft mitbringen müssen, um die Fahrzeuge sinnvoll einzusetzen und neue Märkte erschließen zu können“. Hierbei ist es auch wichtig, dass das Wissen über die Potentiale der Fahrzeuge nicht nur beim Fahrer, sondern auch in der Kurierzentrale, bei den Callcenter-Mitarbeitern oder Disponenten, vorhanden ist. Der gesamte Prozess einer Kurierdienstleistung muss darauf ausgerichtet werden. Damit das iBullitt auch bei der Auftragsannahme korrekt gebucht werden kann, müssen Telefonisten und Disponenten geschult werden und IT- und Kommunikationsstrukturen „fit“ für das Lastenrad gemacht werden.
Auch auf strategischer Ebene sollte das Transportmittel eingebunden werden. Seine Vorteile lassen sich etwa für Marketing und Kundenakquise einsetzen. „Es empfiehlt sich, weitere innovative urbane Logistikkonzepte mit einzubeziehen – etwa die Kombination mit mobilen Depots oder Mikro-Konsolidierungspunkten. So können die individuellen Stärken unterschiedlicher Transportmittel ökonomisch und ökologisch sinnvoll eingesetzt werden“, konstatiert Gruber.
Ideenreichtum bewies zum Beispiel das schwedische Möbelhaus Ikea in Hamburg, welches vom Hamburger Projektpartner als neuer „Key Account“ gewonnen werden konnte. Ab Sommer 2014 können Kunden ihre Einkäufe nun auch per Elektro-Lastenrad nach Hause geliefert bekommen.
Der iBullitt-Kurier: Teilzeitkurier, Fahrzeugwechsler oder Heavy User?
93 Prozent der iBullitt -Kuriere sind Männer, im Mittel 39 Jahre alt und besitzen ein hohes Bildungsniveau (67Prozent haben mindestens ein Abitur). Die Kuriere sind mit dem Projektfahrzeug durchschnittlich 1.300 Kilometer monatlich gefahren. Allerdings liegt hier eine große Schwankung vor. In Bezug auf die Arbeitsorganisation lassen sich die Nutzer in drei Gruppen einteilen: Teilzeitkuriere, die noch einer anderen Tätigkeit nachgehen; Kuriere, die in der Regel an fünf Tagen arbeiten, dabei verschiedene Fahrzeuge nutzen und tage- oder sogar stundenweise zwischen iBullitt und Fahrrad wechseln. Als dritte Gruppe kristallisierten sich sogenannte „Heavy User“ heraus, die ausschließlich mit dem Elektro-Lastenrad im Einsatz waren: Jeder vierte der Kuriere ist mit seinem Fahrzeug bereits über 25.000 Kilometer gefahren und einige der Kuriere fuhren damit über 400 Aufträge monatlich.
Insgesamt sind die Kuriere mit dem Elektro-Lastenrad zufrieden.
Sowohl die elektrische Reichweite als auch die mögliche Zuladung nach Volumen und Gewicht sagt ihnen zu. Aber auch das Fahren an sich sowie die Geschwindigkeit gefallen den Kurierfahrern. Darüber hinaus zeigten sie sich mit der Sicherheit, was zum Beispiel die Stabilität des Rahmens angeht, zufrieden.
Weniger zufrieden beziehungsweise neutral stehen die Kuriere den Anschaffungskosten von bis zu 5.000 Euro gegenüber. Trotzdem werden auch nach Projektende alle Projektfahrzeuge von den Kurierunternehmen und den einzelnen Kurieren übernommen und weitergenutzt. „Wir können uns unsere Logistik ohne die iBullitts nicht mehr vorstellen“, bekräftigt Stefan Kerscher von der Rapid Kurierdienste KG in München seinen Entschluss, weiter auf die Elektro-Lastenräder zu setzen.
In einigen der beteiligten Standorte ist eine Ausweitung der Lastenradflotte vorgesehen, einige Wettbewerber im Kuriergeschäft bieten neuerdings ebenfalls Lastenrad-Transporte an.
Elektro-Lastenrad versus Fahrrad versus Auto: Welches Fahrzeug macht das Rennen im Kuriergeschäft?
Das Elektro-Lastenrad bietet gegenüber dem Fahrrad deutliche Vorteile. Als größten Vorteil wird die Möglichkeit der Kombination von Aufträgen angesehen, denn er ist zugleich auch Wettbewerbsvorteil. Ein weiteres Plus ist die geringere körperliche Belastung für den Kurierfahrer, der deshalb auch mehr Aufträge bearbeiten und dadurch ein höheres Einkommen erzielen kann.
Zu den Nachteilen des Elektro-Lastenrads gegenüber dem Fahrrad gehört unter anderem die Abstellsituation nachts, denn die Elektro-Lastenräder werden auf den Betriebsgeländen abgestellt und dort über Nacht geladen. Bislang waren Fahrradkuriere es gewöhnt, ihr Fahrrad zu Hause abzustellen. Eine Konsequenz daraus ist die Gruppe der „Fahrzeugwechsler“: Kuriere fahren am Anfang oder am Ende des Tages mit dem Fahrrad und steigen im Laufe des Tages, etwa wenn eine Sendung zum Betriebsgelände gebracht werden muss, auf das Lastenrad um.
Auch wird das Fahrrad gegenüber dem Elektro-Lastenrad als umweltfreundlicher angesehen. Zudem weist das Fahrrad eine höhere Geschwindigkeit und in den Augen der Kuriere einen größeren Spaßfaktor aus. Gegenüber einem Auto als Kurierfahrzeug kann das Elektro-Lastenrad aber gerade in den Kategorien Spaßfaktor, Umweltschutz und Parksituation beim Kunden punkten.
Eine effiziente und ressourcenschonende Kurierlogistik wird also auch weiterhin auf die intelligente Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel angewiesen sein. Elektro-Lastenräder könnten sich hierbei als stützendes Element im Markt etablieren.