Deutschlands Flüsse und ihre Auen sind wichtige Ressourcen für uns Menschen und wertvolle Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Doch ihre Ökosystemleistungen sind durch den fortschreitenden menschengemachten Klimawandel und den stetig steigenden Nutzungsdruck auf die Gewässer in Gefahr. Flussrevitalisierungen sind deshalb eine wichtige strategische, langfristige Zukunftsinvestition, die von Politik und Behörden auch in wirtschafts- und sicherheitspolitisch herausfordernden Zeiten nicht hintangestellt werden sollte. Darauf weisen Forscherinnen und Forscher des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) anlässlich der Bundestagswahl 2025 hin. In einem neuen IGB Policy Brief empfehlen sie der Bundespolitik, die Revitalisierung von Flüssen in enger Zusammenarbeit mit den Bundesländern deutlich stärker zu priorisieren und zu unterstützen.
„Flüsse und Auen bieten uns Trinkwasserressourcen, natürlichen Wasserrückhalt und damit Hochwasserschutz, Schadstoffrückhalt und -umwandlung, Erholungs- und Freizeiträume sowie Fischereiressourcen. Um Flüsse in Deutschland resilienter zu machen, bedarf es aber verstärkter Anstrengungen bei ihrer Revitalisierung. Denn je naturnäher ein Fluss ist, desto größer ist seine Biodiversität und desto umfangreicher sind seine Ökosystemleistungen“, erläutert IGB-Forscherin Prof. Sonja Jähnig, Abteilungs- leiterin am IGB und Mitautorin des IGB Policy Briefs. „Ein revitalisierter Fluss ist widerstandsfähigere gegenüber negativen Einflüssen – und leistet einen größeren Beitrag zur Abmilderung von Klimawandelfolgen.“
Großes Umsetzungsdefizit, starke Interessenkonflikte und dringender Handlungsbedarf
Gegenwärtig erreichen nur acht Prozent der Fließgewässer in Deutschland den von der Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) geforderten sehr guten oder guten öko- logischen Zustand bzw. das entsprechende Potenzial. Dabei müssten alle berichtspflicht- igen Gewässer dieses Ziel bereits 2027 – im übernächsten Jahr – erreicht haben. „Das ist utopisch und zeigt, dass schon seit zwei Jahrzehnten ein großes praktisches Umsetz- ungsdefizit bei Verbesserungsmaßnahmen herrscht“, unterstreicht Dr. Jörn Gessner, IGB-Forschungsgruppenleiter und Mitautor.
In 60 Prozent der Wasserkörper sei mit der Umsetzung der in den Bewirtschaftungsplänen vorgesehenen hydromorphologischen Maßnahmen bis 2020 noch nicht einmal begonnen worden. „Die Ursachen dafür sind lange und gut bekannt: Es fehlt vor allem an Geld, Personal und Flächen. Zudem gibt es Interessenkonflikte mit anderen Politikfeldern wie zum Beispiel Landwirtschaft, Verkehr und Energie. Deshalb reicht das Wasserrecht allein nicht aus, um diese Probleme zu lösen“, erläutert Jörn Gessner. Nach vielen Jahren der ausführlichen Diagnose sollte daher nun die Lösung konkreter praktischer Probleme und Zielkonflikte im Vordergrund stehen, empfehlen die Forschenden.
Angemessene Ressourcen, effizientere Prozesse und gesunder Pragmatismus
Grundvoraussetzung für schnellere und effizientere Fließgewässerrevitalisierungen sei eine offizielle Priorisierung mit klaren Zielvorgaben und ausreichenden Ressourcen. Zudem müssten auch die komplexen und langwierigen Abläufe in der Genehmigungs- und Umsetzungspraxis effizienter gestaltet und möglichst vereinheitlicht werden, ohne dabei die Besonderheiten der Flusseinzugsgebiete aus den Augen zu verlieren.
Neben der Anpassung der Verfahrensregelungen erfordere dies auch einen Kulturwandel hin zu progressiverem, pragmatischerem Verwaltungshandeln und stärkerem Austausch mit Wissensträgern und Interessenvertretern, wie z.B. Schutz- und Nutzungsverbänden, um Fach- und Praxiswissen besser zu integrieren. Eine konstruktive Fehlerkultur statt des alleinigen Primats auf absoluter Rechtssicherheit würde wertvolles Revitalisierungswissen schaffen und zukünftige Umsetzungen verbessern helfen. Ziel- und Interessenskonflikte könnten entschärft oder gar aufgelöst werden, wenn bei Revitalisierungen verstärkt auf multifunktionale Ansätze mit Synergieeffekten gesetzt würde, die mehrere Ziele und Interessen gleichzeitig abdecken.
„Kontraproduktiv ist dagegen die politische Unterstützung und Priorisierung von öko- logisch sehr schädlichen Flussnutzungen, wie zum Beispiel kleinen Wasserkraftanlagen, die keinen wesentlichen Beitrag zur Energiewende und Energiesicherheit leisten. Solche Fehlanreize sollten vom Gesetzgeber in der neuen Legislaturperiode dringend neu bewertet werden“, erläutert Dr. Christian Wolter, IGB-Forschungsgruppenleiter und ebenfalls Mitautor. „Gleiches gilt für Baumaßnahmen an als Wasserstraßen eingestuften Flüssen, die viel kritischer auf ihre Notwendigkeit geprüft und in deren Kosten-Nutzen-Bilanz schädliche ökologische Effekte viel transparenter dargelegt werden müssten.“
Politische Initiativen fortführen und volkswirtschaftliche Potenziale erschließen
Das vom Bundesumweltministerium vorbereitete und von der Ampel-Koalition beschlos- sene Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK), das auch Maßnahmen zu Gewässerrevitalisierungen enthält, ist aus Sicht der Forschenden ein Schritt in die richtige Richtung und sollte konsequent, ambitioniert und finanziell gut ausgestattet fortgeführt werden.
Die im Jahr 2024 verabschiedete EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL), die u.a. 25.000 km neu frei-fließende Flüsse in Europa vorsieht, sollte im politischen Raum viel stärker als Chance denn als Hürde verstanden werden. Als größte Volkswirtschaft innerhalb der EU sollte Deutschland diese Chance ergreifen und ambitioniert zu diesen Zielen beitragen.
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