Es gibt ein Leben nach der letzten Landung
PAMELA war die Erste, sozusagen das Versuchskaninchen für ein neuartiges Experiment, alte Flugzeuge sinnvoll weiter zu verwenden. PAMELA war eigentlich ein Airbus A300 und war 1980 in Toulouse für die türkische Luftfahrtgesellschaft Fly Air gebaut worden. 25 Jahre, 45 000 Starts und Landungen und 80 Millionen Flugkilometer später hatte der Flieger ausgedient und sollte nun, nach allen Regeln der Recyclingkunst, ausgeschlachtet werden. Mit PAMELA („Process for the Advanced Management of End-of-Life Aircraft“ – in etwa: Prozess zur Verwendung von Flugzeugen am Ende ihrer Nutzungszeit) betraten der europäische Flugzeughersteller Airbus sowie die EU-Kommission mit ihrem LIFE- Umweltprogramm als Projektpartner 2005 bis dato unerforschtes Neuland.
Nicht nur das in den letzten Jahrzehnten gestiegene Umweltbewusstsein, auch die sich abzeichnende, weltweite Rohstoffverknappung legten den Gedanken nahe, wertvolle Rohstoffe aus ausgedienten Flugzeugen als Ressourcenquellen zu erschließen. Der ausgemusterte Airbus A300 wog 106 Tonnen zum Start des Projektes. 18 Tonnen davon sind nach der Trockenlegung abzuziehen, das heißt, nach Absaugen von Wasser, Abwasser und Kerosin aus den Flügeltanks.
Daher wird von einer Ausgangsmasse von 88 Tonnen ausgegangen. Nach dem Ausbau der 13,5 Tonnen nicht rückführbaren Materialien – etwa Kabinen- und Frachtraumverkleidung, Isolierungen und sonstigen Abfällen – entfallen weitere 13,5 Tonnen auf überholbare und wiederverkäufliche Teile wie Triebwerke, Hilfsturbinen, Avionik oder Fahrwerke. Bleiben also noch 61 Tonnen wiederverwertbares Material übrig. Beim Airbus PAMELA bestanden sie zu 77 Prozent aus Aluminium, zwölf Prozent aus Stahl, vier Prozent aus Titan, drei Prozent aus Kupfer und vier Prozent aus Kohlefaser und anderem Verbundmaterial. Fragt sich nur: Warum kam man nicht schon viel früher auf die Idee, diesen ausrangierten Fliegern ein Leben nach ihrer letzten Landung zu gewähren?
Da hilft ein ganz kurzer Blick in die noch junge Geschichte der Fliegerei. Nach den ersten erfolgreichen Flugversuchen im angehenden 20. Jahrhundert wurden strahlgetriebene Verkehrsmaschinen Mitte der Fünfzigerjahre in Dienst gestellt und ermöglichten kurz darauf den Beginn des modernen Luftfahrt-Massentourismus. Bei einer Lebensdauer solcher Passagiermaschinen zwischen 20 und 30 Jahren sowie einem über die Jahre enorm angestiegenen Weltluftverkehr erhebt sich die Recycling-Frage natürlich immer drängender. Ähnlich wie zum Beispiel die schon viel früher gestellte Frage: Was lässt sich aus dem wachsenden Wohlstandsmüll, der sich in den Abfalltonnen der westlichen Welt anhäuft, an wichtigen Wertstoffen wiederverwerten? Also wurde auch das Flugzeug-Recycling zu einem Thema, über das nachzudenken sich lohnte. Zumal absehbar ist, dass mit dem weiteren Zuwachs des globalen Luftverkehrs, vor allem befeuert durch die aufstrebenden Wachstumsregionen in Asien und Lateinamerika, die Möglichkeiten zur Gewinnung von Wertstoffen immer größer werden. Airbus prognostiziert weltweit über 28.000 neu zu produzierende Passagiermaschinen allein in den nächsten 20 Jahren. Auch Boeing geht von einem Zuwachs in ähnlicher Größenordnung aus und schätzt ebenso, dass allein in diesem Zeitraum bis zu 8.500 Passagiermaschinen mit mehr als 100 Sitzen außer Dienst gestellt werden. Von kleineren Regionaljets, Sportflugzeugen und Militärflugzeugen gar nicht erst zu reden.
Früher war auch in Sachen Wiederverwertung noch manches anders, da wurden Flugzeuge entweder schlicht auf Halde abgewrackt oder auch gar nicht unbedingt ausrangiert. Ähnlich wie Oldtimer-Autos hielten sie bei intensiver Pflege und Wartung viele Jahrzehnte. Das aber rechnet sich heute längst nicht mehr, da angesichts des Fortschritts in Forschung und Entwicklung nicht nur die Technik schneller veraltet, sondern auch immer neue Umweltregularien, wie etwa Emissions- und Lärmvorschriften, die fliegenden Oldtimer auf zahlreichen Flughäfen aussperren. Auch der kräftig gestiegene Kerosinpreis erhöht den Druck auf Fluggesellschaften deutlich, moderne und deutlich treibstoff-effizientere Flugzeuge zu betreiben.
Aber wie früher soll es künftig auch nicht mehr sein. Vor PAMELA wurden Flugzeuge abgewrackt mit dem Ergebnis, dass rund 45 Prozent der Masse eines Flugzeugs auf Schrott-Deponien landete. Ein Jammer. Ziel des Projekts PAMELA war es hingegen, zu zeigen, dass ausgemusterte Flugzeuge nicht auf diese Weise enden müssen und dass ein Flugzeug ohne Umweltgefährdung zerlegt, seine Teile wiederverwendet oder als Sekundärrohstoffe recycelt werden könnten. „Ein Flugzeug ist keine besondere Form von Abfall“, erklärt Olivier Malavallon, Leiter des PAMELA-Projekts von LIFE. „Entscheidend ist, was man mit dem Material anfängt und vor allem, wie man damit umgeht.“ Obgleich Flugzeuge aus Materialien bestehen, die recycelt oder auf verschiedene Weise wiederverwendet werden können, gab es vor PAMELA keine genormten Verfahren. Mit dem Projekt sollte diese Lücke gefüllt und die Einhaltung einschlägiger Abfallvorschriften gewährleistet werden. Darüber hinaus sollte auf freiwilliger Basis das Ziel einer Recyclingquote von mindestens 85 Prozent erreicht werden – vergleichbar mit einer EU-Richtlinie für Altfahrzeuge, die bisher noch nicht für Flugzeuge gilt. Aber ab 2015 soll die Umweltmanagement-Norm ISO 14001 auch für Flugzeughersteller in Kraft treten, die schon für die Automobilproduzenten gilt: Von da an müssen sie für ihre Flieger auch dann die Verantwortung tragen, wenn diese ausgedient haben.
Nicht zuletzt hat PAMELA auch in dieser Hinsicht „wert“-volle Erkenntnisse geliefert. Dank eines umfassenden und selektiven Sortierverfahrens konnten nicht nur über 85 Prozent der verwertbaren Materialien im Rahmen vorschriftsmäßigen Recyclings verkauft werden – bis zu 70 Prozent des Materials gingen zurück an die Industrie, einschließlich der Luftfahrtindustrie; so entstand deren erster geschlossener Produktionskreislauf („Cradle-to-Cradle“) – also nicht wie bisher von der Wiege zur Bahre („Cradle-to-Grave“) sondern zur Wiege eines neuen Luftfahrt-Lebens. Zudem führte das PAMELA-Konzept inzwischen zu einer neuen, interessanten Geschäftsmöglichkeit, zur Gründung der TARMAC Aerosave, dem ersten und europaweit führenden Unternehmen zur umweltverträglichen Verwertung von Altflugzeugen. Als Joint Venture von Airbus und Abfallspezialist SITA France nahm das Unternehmen 2009 seine Tätigkeit auf.
Mit seiner hochmodernen Anlage in der Nähe des Flughafens von Tarbes im Südwesten Frankreichs verfügt TARMAC über die Kapazität zur Demontage von bis zu 30 Großflugzeugen pro Jahr. In den ersten beiden Jahren hat das Unternehmen bereits ein Dutzend Flugzeuge verschiedener Typen zerlegt, darunter Airbus A300, A310, A300-600, A320, A340, aber auch DC9, Boeing 737 und Boeing 777. So konnte TAMARC seine Demontageverfahren weiterentwickeln und auf eine ganze Palette von Flugzeugtypen anwenden.
Ziel des Unternehmens ist, bis zu 90 Prozent der Teile und Materialien der zerlegten Flugzeuge zu recyceln oder wiederzuverwenden. Eine vollständige Zerlegung nimmt ein bis drei Monate in Anspruch. „Es dauert beträchtlich länger als bei nicht-selektiven Verfahren, bei denen Rohstoffe nicht säuberlich getrennt werden. Aber wir haben uns zum Ziel gesetzt, hochwertige Materialien zu recyceln“, erklärt Projektleiter Malavallon. Aber, hinsichtlich der bevorstehenden Zertifizierung mit der Umweltmanagement-Norm ISO 14001 ebenso wichtig: TARMAC liefert Airbus auch wertvolle Informationen und Rückmeldungen in Bezug auf Alterungsprozesse bei Flugzeugen und auf leichtere Demontagemethoden. Diese Informationen fließen in die Entwicklungsarbeit der Ingenieure am Anfang des Lebenszyklus eines neuentwickelten Flugzeugs ein und tragen so zur Verbesserung bestehender und zukünftiger Flugzeuge hinsichtlich ihrer Recyclingfähigkeit bei. Olivier Malavallon sieht die Anlage in Tarbes als Teil eines künftigen Netzwerks, bei dem alle Beteiligten die PAMELA-Erfahrungen nutzen. Eine weitverbreitete globale Infrastruktur würde Recycling effizienter machen und mit der Zeit die Verfügbarkeit von Materialien wie etwa Verbundwerkstoffen, die bisher noch nicht recycelt werden können, in wirtschaftlich sinnvollen Mengen sicherstellen. „Verbundwerkstoffe wie CFK (kohlenstofffaser- verstärkter Kunststoff) können gegenwärtig nicht recycelt werden – die wiedergewonnenen Mengen sind zu gering und die technische Leistungsfähigkeit der Materialien muss verbessert werden. Diese Stoffe machen heute in der Flugzeugherstellung einen viel größeren Anteil aus. Es ist daher unser Ziel, in den kommenden drei bis fünf Jahren Recyclingverfahren für Produktionsabfälle zu entwickeln, die dann in 20 Jahren bei Flugzeugen am Ende ihres Lebenszyklus zur Anwendung kommen können.“
Was die Recyclingfähigkeit von Kohlefaserverbundwerkstoffen anbetrifft, werden bereits heute in Deutschland die wissenschaftlichen Grundlagen gelegt. Das Fraunhofer Institut für Bauphysik (IBP) in Stuttgart hat sich in PAMELAS Namen der „Ökolonomie“, also dem Einklang von Ökologie und Ökonomie, verschrieben und erforscht derzeit eben jenes Abfallprodukt der Luftfahrtindustrie, das im Zuge der künftigen Leichtbauweisen zunehmend zum Einsatz kommt: durch Karbonfasern verstärkte Kunststoffe (CFK). Für deren Wiederverwertung gibt es jedoch bislang noch keine wirtschaftlichen Lösungen. Die Wissenschaftler des Fraunhofer IBP forschen deshalb an der Weiterentwicklung eines Verfahrens, das ursprünglich aus dem Bergbau kommt. Dabei wird die elektrodynamische Fragmentierung zum Beispiel zur Zerkleinerung von hochreinem Quarz für die Silizium-Wafer Industrie eingesetzt.
Und erst Mitte 2012 ging in Norddeutschland die MORE-AERO an den Start, in der sich die Keske Entsorgung GmbH, das Institut für Aufbereitung, Deponietechnik und Geomechanik (IFAD) der TU Clausthal, die Allcox International GmbH und die Süderelbe AG zusammen getan haben, um den Einstieg in das Flugzeugrecycling für Norddeutschland voranzutreiben. Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes ist die Entwicklung einer mobilen Recycling-Einheit, die weltweit ausgemusterte Flugzeuge zerlegen und dem Recyclingprozess zuführen kann.
Dass das im Prinzip geht, hat ja schon Prototyp PAMELA bewiesen. Jetzt kann sich allmählich, nach vielen Jahrzehnten, aus den Flugzeug-Friedhöfen dieser Welt neues Geschäftsleben entwickeln.