Der Wandel liegt in der Luft: Unter diesem Titel wurde in einem Forschungsprojekt der Freien Universität Bozen (Südtirol/Italien) und Agorà gemeinsam mit Forschenden und Doktoranden der Universität IUAV in Venedig und der Universitäten Trient und Padua noch vor dem Corona-Lockdown die Luftqualität in Schulen untersucht. Darin zeigt sich, dass eine unzureichende Belüftung der Klassenzimmer über weite Teile der Schulstunden zu einer zu hohen CO2-Konzentration führt. Ein Ergebnis, das vor dem Hintergrund von Covid-19 für die geplante Wiedereröffnung der Schulen im Herbst umso stärker berücksichtigt werden sollte.
Der Luftaustausch erfolgt durch natürliche Belüftung, wie in den meisten Schulen in Italien, in denen im Allgemeinen kein mechanisches Belüftungssystem verfügbar ist.
In Italiens Klassenzimmern wird dringend eine bessere Luftqualität benötigt. Das verdeutlichen die Ergebnisse des Forschungsprojekts “Der Wandel liegt in der Luft“, in dessen Rahmen seit Juli 2019 Qualitätsmessungen in Schulgebäuden vorgenommen wurden. Initiatoren der Studie, die nun im Juni abgeschlossen wurde, sind die Freie Universität Bozen sowie Agorà, ein Unternehmen, das sich unter anderem der Weiterbildung im Bereich Nachhaltigkeit im Bauwesen verschrieben hat. Daran mitgewirkt haben Forschende und Doktorand*innen der Universitäten von Trient, Padua sowie der Universität IUAV in Venedig. Aktiv eingebunden wurden auch Schülerinnen und Schüler der Oberschule I.I.S. Margherita Hack in Morlupo, in der Provinz Rom.
In Zeiten von Covid-19 erhalten die Ergebnisse des Forschungsprojekts der unibz eine neue Relevanz. Bereits vor Ausbruch der Pandemie gab die Luftqualität in den Schulen Anlass zur Sorge. Das gilt erst recht, wenn ab September wieder 8 Millionen Schüler*innen in Italiens Klassenzimmer zurückkehren und strenge Abstandsregeln einzuhalten sind sowie für eine ständige Desinfektion zu sorgen ist.
„Schulgebäude in Italien haben im Allgemeinen bedienbare Fenster. Die Gesamtbedingungen sind jedoch im Allgemeinen schlecht“, beschreibt Prof. Andrea Gasparella von der Freien Universität Bozen die Situation. Demnach sei die Gebäudehülle schlecht isoliert. Fenster haben Holzrahmen und Doppelglasscheiben, aber nicht in allen Regionen. „Die Infiltrationsrate ist im Allgemeinen mittel bis hoch. Die technischen Systeme basieren normalerweise auf Heizkörpern, manchmal Fancoils und Gasöl- oder Erdgaskesseln. Bis auf die Heizung ist keine Belüftung oder Kühlung installiert. Die Steuerungsstrategie ist sehr einfach und zentralisiert: Es ist keine Zonensteuerung verfügbar, so dass es häufig zu Überhitzung kommt, was die Schüler dazu veranlasst, Fenster zu öffnen, um keine frische Luft zu gewährleisten, sondern die Raumtemperatur auch im Winter zu senken“, führt Gasparella aus.
Luftqualität in Italiens Klassenzimmern: die Ergebnisse der Studie
Im Rahmen des Projekts wurden 90 (immer noch aktive) Sensoren in fünf Klassenzimmern mit rund 20 Studenten und 20 Räumen der Oberschule Hack installiert. Diese ermöglichen eine kontinuierliche Messung von Temperatur, Luftfeuchtigkeit, CO2-Konzentration und Beleuchtungsstärke. Die daraus gewonnenen Daten wurden in Beziehung mit dem Verhalten der Schüler*innen gesetzt. Diese führten zusätzlich penibel Buch über alle Handlungen wie das Öffnen und Schließen von Türen und Fenstern, die Benutzung von Computern oder das Ein- und Ausschalten von Lichtern und gaben die jeweiligen Gründe dafür an.
Das Ergebnis der Messungen zeigt, dass der Grenzwert für die empfohlene CO2-Höchstbelastung (900 ppm) in 75% der Zeit überschritten wird; die minimal empfohlene Zufuhr von Frischluft wird gar in 95% der Unterrichtszeit nicht eingehalten. Neben diesen beiden Parametern erwies sich auch die Beleuchtung als unzureichend. Sofern kein künstliches Licht verwendet wurde, lag die Beleuchtung der Arbeitsflächen während eines Großteils des Beobachtungszeitraums weit unter dem Schwellenwert von 500 lx. Sehr oft wurden sogar Werte unter 300 lx gemessen. Weniger gravierend waren die Abweichungen der gemessenen Temperaturen von den Soll-Werten in den Wintermonaten: Hier wurde in mehr als 80% der Zeit die gesetzlich empfohlene Temperierung von 20 bis 24 Grad eingehalten.
Aus der Auswertung ergibt sich klar, dass das größte Problem die Luftqualität ist. Alle Bemühungen diese zu verbessern, haben sich als unzureichend, teilweise sogar als problematisch erwiesen, da sie die Luftfeuchtigkeit, den Lärmpegel oder auch den Energieverbrauch im Gebäude negativ beeinflussten. Auch wenn die Schüler versucht haben, die Raumluftqualität durch Öffnen der Fenster zu verbessern, was im Überwachungszeitraum aufgezeichnet wurde, war dies nicht wirklich effektiv, um den CO2-Gehalt zu begrenzen. Die quantitative Analyse der erhobenen Messdaten wurde durch die Befragung der Schülerinnen und Schüler zum Raumkomfort in den Klassenzimmern bestätigt. Nur 43% der Befragten beurteilte diesen als zufriedenstellend. Als unzureichend wurde in der Befragung nicht nur die Luftqualität bewertet. Auch beim Wärmeempfinden beschrieben die Befragten Teile des Schulgebäudes als überhitzt und andere Teile als zu kalt.
Diese Ergebnisse haben eine besondere Relevanz für den Schulstart im September, der von zahlreichen Corona-Sicherheitsauflagen geprägt sein wird. „Die Vorbeugung einer Ansteckung erfolgt in der Tat durch die Kontrolle der Konzentration und Verteilung der Viruslast, die sich, wenn auch mit einigen Besonderheiten, nicht wesentlich von der vieler anderer Schadstoffe in Innenräumen unterscheidet“, sagt Andrea Gasparella, Professor für Gebäudephysik an der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik der Freien Universität Bozen. „Die richtige Belüftung kann sowohl den CO2-Gehalt begrenzen als auch eine Konzentration der Viruslast in der unmittelbaren Umgebung eindämmen“.
In der aktuellen Vorbereitung des Schul-Neustarts im Herbst sei es deshalb essentiell, die mit den neuen Abstandsanforderungen erreichbaren Luftqualitätsniveaus festzulegen, und zu planen, welche Maßnahmen notwendig sind, um sie zu erreichen. „Das können zum Bespiel häufigeres oder längeres Öffnen von Fenstern und Türen sein, kleinere Gruppengrößen oder eine kürzere Belegung der Klassenräume, die Installation von Belüftungs- oder Filtersystemen und das Festlegen von Parametern sein, die es ermöglichen, die Luftqualität im restlichen Schulgebäude ohne große zusätzliche Kosten zu überwachen, indem aufgrund bestimmter Korrelationen und Prognosealgorithmen eine Warnung ausgelöst wird“, so Gasparella.
Das Forschungsprojekt „Der Wandel liegt in der Luft” wird im kommenden Herbst an der Oberschule Hack sowie an weiteren Schulen fortgesetzt, um die bisherigen Ergebnisse mit weiteren Messungen zu vergleichen, die unter den Bedingungen der Covid-Einschränkungen vorgenommen werden. Die wissenschaftliche Zusammenarbeit wird darüber hinaus auf die Bergische Universität Wuppertal in Deutschland ausgedehnt, um Modelle zu entwickeln, von denen sich die Forschenden neue Erkenntnisse über die Luftverteilung erhoffen, insbesondere über den Einfluss, den sitzende oder sich bewegende Menschen darauf haben.
Gemessen wurden auch Feinstaub (PM), TVOC und CO2 und in zwei der 5 Klassenräume CO, CO2, VOC, SO2, NO, NO2, NO3 im Fragebogen dokumentiert. Die Analyse der Daten ist noch nicht abgeschlossen. Die Ergebnisse werden später verfügbar sein.