Neues Kompetenzzentrum gegen das Artensterben

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Kompetenzzentrum Biodiversität und integrative Taxonomie nimmt Arbeit auf

Abbruchwald vor KiEZ Hölzerner See

Das voranschreitende Artensterben stellt eine der größten Herausforderungen der Menschheit im 21. Jahrhundert dar. Um diesem entgegenwirken zu können, müssen die bedrohten Arten bekannt und ihre Funktionen im Ökosystem verstanden sein. Deutschlandweit gibt es jedoch nur noch wenige Personen, die über vertiefte Artenkenntnisse verfügen und in der Lage sind, seltene Tier-, Pflanzen- und Pilzarten sicher zu bestimmen. Das Land Baden-Württemberg hat den Handlungsbedarf erkannt und die Landeskompetenzinitiative „Integrative Taxonomie“ gestartet. Mit dem „Kompetenzzentrum Biodiversität und integrative Taxonomie“ (KomBioTa) nimmt deren Herzstück nun seine Arbeit auf.

Das neue Kompetenzzentrum wird Baden-Württemberg als einen Standort der Biodiversitätsforschung mit seinen besonderen Stärken im Bereich der Erforschung von Agrar- und Kulturlandschaften weiter stärken“, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer am Mittwoch (23. Juni) in Stuttgart. „Als Plattform bringt das neue Kompetenz- zentrum die lokale, regionale und überregionale Vernetzung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und der Einrichtungen maßgeblich voran.“ Das Land fördert die Einrichtung und den Betrieb des Zentrums mit jährlich rund einer Million Euro.

Die gemeinsame Einrichtung der Universität Hohenheim und des Stuttgarter Naturkunde- museums soll die Erforschung von Vielfalt und ökologischen Zusammenhängen voran- treiben. Zugleich bildet das Kompetenzzentrum eine Generation moderner Artenkenner aus, die mit aktuellen Forschungsmethoden ebenso vertraut sind wie mit den heimischen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten. Darüber hinaus soll das Zentrum dazu beitragen, dieses Wissen in Gesellschaft und Politik zu bringen.

„Das Kompetenzzentrum für Biodiversität und integrative Taxonomie (KomBioTa) bündelt zahlreiche Arbeitsgruppen an beiden Institutionen für gemeinsame Forschung und Lehre. Es soll sowohl Wissenschaft und Forschung als auch die wissenschaftliche Aus- und Weiterbildung für die Praxis abdecken und zukünftig landesweite Aktivitäten in dem Bereich zusammenführen“, erklärt die Geschäftsführerin Dr. Ann-Catrin Fender. „Im Fokus der Initiative soll neben der Vermittlung von Artenkenntnissen vor allem der Erhalt der Artenvielfalt stehen.“

Das Zentrum besteht in seiner Anfangsphase aus zwei neu geschaffenen Professuren, mehreren Mitarbeitenden und einer hauptamtlichen Geschäftsführung und zeichnet sich unter anderem durch die gemeinsame Nutzung der Infrastruktur der beiden Partner- institutionen aus.


Vermittlung und Stärkung von Artenkenntnis und biologischer Vielfalt

Das Artensterben findet nicht nur in entlegenen Regionen statt, sondern auch in unserem direkten Lebensumfeld. Dadurch sind wertvolle Dienstleistungen des Ökosystems, wie etwa die Bestäubung von Obstblüten durch Insekten bedroht. Die Biodiversität hat auch weitreichende Bedeutung für das Klima: Ökosysteme mit einer großen pflanzlichen Vielfalt können große Mengen Kohlen- und Stickstoff speichern und dadurch den Klimawandel abbremsen.

Um dem Verlust an Biodiversität effektiv begegnen zu können, ist es nicht nur wichtig, die Arten zu kennen, sondern auch zu wissen und zu verstehen, welche Funktionen sie im Ökosystem haben und wie man sie schützen kann.

Das neue, bundesweit einzigartige „Kompetenzzentrum Biodiversität und integrative Taxonomie“ (KomBioTa) führt klassische beschreibende taxonomische Ansätze mit modernen Methoden der morphologischen Forschung, Molekulargenetik und Bioinformatik zusammen. Zudem entwickelt das Kompetenzzentrum das Biodiversitätsmonitoring weiter, also die Dokumentation des Zustandes und der Veränderungen der Biodiversität. Es trägt damit zu den großen Monitoringprogrammen auf Landes- und Bundesebene und zu internationalen Initiativen bei.

Kompetenzen bündeln und Synergien nutzen

Mit dem Kompetenzzentrum will das Land Baden-Württemberg einen deutlichen Anstoß zu einer Trendumkehr beim Artensterben geben. In die von der Universität Hohenheim und dem Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart gemeinsam getragene Einrichtung bringen beide Partner ihre Stärken effektiv ein.

Das Staatliche Museum für Naturkunde Stuttgart liefert mit seiner Forschung und der breiten taxonomischen Expertise und Artenkenntnis in Botanik, Entomologie (Insektenkunde) und Zoologie die Grundlage für die Stärkung der Taxonomie für die Zukunft. Als Ausbildungseinrichtung stellt die Universität Hohenheim die notwendigen Strukturen bereit und stützt die Expertise des Zentrums insbesondere mit ihrer Forschungsstärke im Bereich Ökologie und Evolutionsbiologie.

Die Universität Hohenheim und das Forschungsmuseum kooperieren bereits seit vielen Jahren erfolgreich in Forschung und Lehre. Die Zusammenarbeit wird aktuell um zwei neue Professuren in den Bereichen „Integrative Taxonomie der Insekten“ und „Biodiversitätsmonitoring“ als gemeinsame Berufung der beiden Kooperationspartner verstärkt.

Artenkenntnis ist Basis des Artenschutzes

„Um effektive Schutzmaßnahmen zum Beispiel gegen das Insektensterben ergreifen zu können, müssen wir erst einmal wissen, welche Arten es überhaupt gibt und welche Funktionen sie im Ökosystem haben“, erklärt der Insektenkundler Prof. Dr. Lars Krogmann. Er leitet die entomologische Abteilung des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart sowie das Fachgebiet Systematische Entomologie an der Universität Hohenheim und ist eines der drei Vorstands-mitglieder des Kompetenzzentrums.

Direkt vor unserer eigenen Haustür gibt es viele Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen, die der Wissenschaft noch gar nicht bekannt sind. Viele davon sind vom Aussterben bedroht. „Das liegt meist nicht daran, dass wir sie noch nicht gefunden hätten“, erläutert Prof. Dr. Krogmann, „sondern daran, dass sich vor allem die kleineren Insektenarten so ähnlich sehen können, dass sie äußerlich nicht unterscheidbar sind.“

Jede Art zählt ‒ Zustand der Arten erfassen, Artenvielfalt schützen

Ökologinnen oder Umweltgutachter erfassen bei ihrer Arbeit oftmals nur einen sehr kleinen Teil der immensen biologischen Vielfalt und orientieren sich an so genannten Zeiger- oder Indikator-Arten, die dann repräsentativ für das gesamte Biotop betrachtet werden.

„Aber es genügt nicht, sich nur auf einzelne Gruppen oder Indikator-Arten, wie etwa Wildbienen, zu fokussieren. Es müssen auch die Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten von Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen untersucht werden“, verdeutlicht Prof. Dr. Johannes Steidle vom Fachgebiet für Chemische Ökologie an der Universität Hohenheim und ebenfalls im Vorstand des Kompetenzzentrums. „Das Standard-Monitoring muss daher ergänzt werden durch unterschiedliche ökologische Gruppen, etwa die Rolle von Insekten als Bestäuber, Gegenspieler und Nahrung.“

Denn zur Biodiversität gehört die gesamte Vielfalt des Lebens, angefangen bei den ganzen Ökosystemen wie Meeren, Wäldern oder Grasland, über die Diversität der Arten, bis hin zur Vielfalt der Gene innerhalb einer Art. Mit dem bereits jetzt beobachteten Rückgang der Individuenzahl ist die Stabilität des Systems immer weiter bedroht und geht im Falle eines Aussterbens einer Art sogar unwiederbringlich verloren.

Ursachen für das Artensterben verstehen

„Wir müssen verstehen, welche Ursachen das Artensterben hat, welche Mechanismen dabei ablaufen und welche Maßnahmen wir ergreifen können, um die Artenvielfalt zu schützen“, so Prof. Dr. Steidle weiter. „Nur durch die Kombination der klassischen mit innovativen Methoden können wir neue Erkenntnisse über den Zustand der Arten und ihre Lebensweise gewinnen.“

„Dabei steht besonders auch der Verlust der genetischen Vielfalt im Fokus, der – einmal verloren gegangen – nicht einfach wieder generiert werden kann“, ergänzt Vorstand Prof. Dr. Martin Hasselmann vom Fachgebiet für Populationsgenomik bei Nutztieren. „Wir benötigen dringend exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchs in den Bereichen Taxonomie, Ökologie und Evolution, um diese Aufgaben langfristig angehen zu können.“

Promotionskolleg „Biodiversität im Wandel der Zeit“

Daher werden Wissenschaft und Forschung ergänzt durch das ebenfalls neu eingerichtete Promotionskolleg „Biodiversitätswandel in Raum und Zeit“. Es bietet bundesweit eine einmalige Möglichkeit für junge Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler, auf dem Gebiet der Taxonomie zu forschen und einen Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt zu leisten.

„Mit der wissenschaftlichen Expertise und den umfangreichen Forschungssammlungen des Naturkundemuseums können wir gemeinsam mit der Universität Hohenheim einen wesentlichen Beitrag zur strukturierten, systematischen Ausbildung von Doktorandinnen und Doktoranden leisten“, betont Prof. Dr. Krogmann. „Durch die Kooperation entstehen Synergien in Forschung und Ausbildung, die so voll zum Tragen kommen.“

Derzeit sind im Promotionskolleg sechs Doktorandinnen und Doktoranden eingeschrieben, die sich mit den Forschungsschwerpunkten des Kollegs ‒ Ökosysteme im Wandel, Mechanismen der Artbildung sowie der Rückgang von Insekten- und von Pflanzenarten ‒ beschäftigen und daraus Prognosen für die zukünftige Entwicklung ableiten wollen.

Einbindung der Umweltakademie: Fort- und Weiterbildung für die Praxis

Die Landesinitiative „Integrative Taxonomie“ besteht aus den beiden Säulen Forschung und Lehre, die durch das Kompetenzzentrum für Biodiversität und integrative Taxonomie abgedeckt werden, sowie dem Fort- und Weiterbildungszentrum bei der Umweltakademie. Die Erkenntnisse und Methoden aus Forschung und Wissenschaft sollen auch in die Aus- und Fortbildungsangebote der zum Umweltministerium gehörenden Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg einfließen und so für die breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Angebote der Umweltakademie zum Artenwissen richten sich an Personen in Behörden, Planungs- und Gutachterbüros und in den Naturschutzverbänden, an Ehrenamtliche im Natur- und Umweltschutz und an andere Interessierte. Sie dienen der Qualifizierung von Artenschutzfachleuten für die praktische Arbeit vor Ort.

Integrative Taxonomie

Die Taxonomie ist das Teilgebiet der Biologie, das die verwandtschaftlichen Beziehungen von Lebewesen (und Viren) in einem hierarchischen System erfasst. In der Biologie erfolgt diese Einteilung traditionell in einem bestimmten Rang einer Systematik, wie Art, Gattung oder Familie und dies insbesondere bei Organismen. In der „Integrativen Taxonomie“ werden Methoden der klassischen Taxonomie multidisziplinär mit molekularbiologischen Methoden, bildgebenden Verfahren zur Untersuchung der Morphologie, dem äußeren Erscheinungsbild und ökologischen Untersuchungen kombiniert.

Mehr unter: KomBioTa


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