Textile Baurevolution aus der Nische

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Carbon auf dem Weg zum Stahl des 21. Jahrhunderts

„Bauarbeiter“ – Hauchdünn verstärken: Bauarbeiter bringen auf dem Dach der Fachhochschule Schweinfurt Gelege aus Carbonfasern in eine Schicht Feinbeton ein (Quelle: Ulrich van Stipriaan)

„Bauarbeiter“ – Hauchdünn verstärken: Bauarbeiter bringen auf dem Dach der Fachhochschule Schweinfurt Gelege aus Carbonfasern in eine Schicht Feinbeton ein (Quelle: Ulrich van Stipriaan)

Marode Brücken, sanierungsbedürftige Gebäude, betagte Optik: Der oft mangelhafte Bauzustand auch von Schulen, Bahnhöfen oder Schwimmbädern macht Deutschland zum Pflegefall. Wetter und Zeit nagen unerbittlich an Beton und Stahl, bis diese bröckeln, rosten, instabil werden. Bei der Suche nach alternativen Baustoffen für Sanierung und Instandhaltung richtet sich der Blick immer öfter auf eine Branche, die mit ihren innovativen Materialien schon den Flugzeug- und Automobilbau aufgemischt hat: die deutsche Textilindustrie.

"Fassadenplatten" Blick in die Zukunft: Carbon-bewehrte Fassadenplatten am Verwaltungstrakt der Firma Alphabeton in Bron in der Schweiz (Quelle: V. FRAAS Solutions in Textile GmbH)

„Fassadenplatten“ Blick in die Zukunft: Carbon-bewehrte Fassadenplatten am Verwaltungstrakt der Firma Alphabeton in Bron in der Schweiz (Quelle: V. FRAAS Solutions in Textile GmbH)

Technische Textilien, vor allem in Glas- und Carbonfaserverbundstoffen, haben in Form von Textilbeton das Potenzial, den Hoch-, Tief und Brückenbau zu revolutionieren. Werden für die Bewehrung in Kunststoff ausgehärtete Textilgelege statt Stahl in Beton eingebracht, entsteht ein nicht korrosionsanfälliger Baustoff mit Zukunftspotenzial. Das Problem: Der in Deutschland entwickelte Textilbeton ist (noch) teuer, mangels geeigneter Prüfverfahren und einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (noch) nicht standardisierbar und deshalb über einzelne Referenzbauten hinaus (noch) unwirtschaftlich. Doch das Noch-Zeitalter scheint zu Ende zu gehen: Der Bund fördert die Technologie mit weiteren Millionen, Forschung und Baupraxis geben mit überzeugenden Referenzbauten wie der Sanierung von sonst unrettbar verlorenen Denkmälern, der Verstärkung eines Tonnendaches beim Finanzamt in Zwickau oder der Instandsetzung eines Zuckersilos in Uelzen zur hochreinen Lagerung von Lebensmitteln weitere Steilvorlagen aus der Nische heraus.

„Dr. Klaus Jansen“ – Legt mit intelligenter Faserforschung das Fundament für den Einsatz innovativer technischer Textilien am Bau: FKT-Geschäftsführer Dr. Klaus Jansen (Quelle: FKT)

„Dr. Klaus Jansen“ – Legt mit intelligenter Faserforschung das Fundament für den Einsatz innovativer technischer Textilien am Bau: FKT-Geschäftsführer Dr. Klaus Jansen (Quelle: FKT)

„Die deutsche Textilforschung ist technologisch weltweit führend, steht aber immer wieder vor dem Problem, dass das Anwendungspotenzial innovativer technischer Textilien kaum bekannt ist – auch im Baubereich. Der Einsatz von Hightech-Fasern dort ist in den letzten Jahren spürbar in den Fokus unserer Forschung gerückt“, erklärt Dr. Klaus Jansen, Chef des Forschungskuratorium Textil (FKT) als Dachorganisation für 16 Textilforschungsinstitute. Carbonfasern, so Jansen, haben das Potenzial, zum „Stahl des 21. Jahrhunderts“ zu werden. Nationale Fachtagungen von Architektur- und Bauexperten, so zum Thema „Bauen mit Beton – Visionen für die Zukunft“ am 26. Februar in Berlin, weisen in dieselbe Richtung. Doch manchmal ist aller Anfang eben nicht nur schwer, sondern vor allem langwierig.

Deutschland: Mal wieder Pionier

„Abstandsgewirk“ – Verbesserte Gesamtökobilanz: Weil Textilbewehrung nicht korrodiert, reichen wenige Millimeter Betonüberdeckung – das verringert das Gesamtgewicht und spart Transportkosten (Quelle: V. FRAAS Solutions in Textile GmbH)

„Abstandsgewirk“ – Verbesserte Gesamtökobilanz: Weil Textilbewehrung nicht korrodiert, reichen wenige Millimeter Betonüberdeckung – das verringert das Gesamtgewicht und spart Transportkosten (Quelle: V. FRAAS Solutions in Textile GmbH)

Bereits 1992 hatte die TU Dresden als eine der ersten Universitäten in Deutschland ein BMWi-gefördertes Projekt zum Thema Textilbeton angeschoben; nachdem es dazu schon in den 80er Jahren Vorarbeiten in der Vorgängereinrichtung des heutigen Sächsischen Textilforschungsinstitut Chemnitz gegeben hatte. Es folgten zwei Jahrzehnte der Forschung und Entwicklung sowie die modellhafte Anwendung textilbasierter Systeme durch Unternehmen. 2011 schloss der Textilbetonverband TUDALIT e. V. zwei durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte und für die Branche wichtige Sonderforschungsprojekte ab: „Textile Bewehrung zur bautechnischen Verstärkung und Instandsetzung“ (wieder TU Dresden) und „Textilbewehrter Beton – Grundlagen für die Entwicklung einer neuen Technologie“ (RWTH Aachen). Im Ergebnis konnte gemeinsam mit der Industrie schrittweise die wissenschaftliche Basis für eine wirtschaftliche Nutzung textiler Bewehrungen entwickelt werden. Doch einer der Väter von Textilbeton, Prof. Peter Offermann, Vorstandsvorsitzender von TUDALIT, weiß: „Für den Durchbruch des Textilbetons braucht es auch und vor allem visionäre Unternehmer.“

Denn obwohl die Bundesrepublik bei dem Thema international mal wieder Pionier ist, verzögert sich die wirtschaftliche Umsetzung textilbewehrter Systeme in ähnlichem Maße wie manch bespötteltes Großprojekt. Der Grund ist simpel: Stahl und Beton sind Standard und funktionieren einfach. Warum also auf ein bewährtes Materialduo verzichten, das zudem noch eigenes Potenzial hat? Ein Grund, nach Alternativen zu suchen, liegt in der höheren Lebensdauer carbonbasierter Textilbetone. Im Gegensatz zum klassischen Baustoff-Geschwisterpaar sind sie auf Dauer korrosionsbeständig und damit nicht anfällig gegenüber eindringender Feuchtigkeit; aufwändige Sanierungs- sowie Instandhaltungsarbeiten entfallen.

Einzelfall-Zustimmung oder: Erst zerstören, dann bauen
Doch wirtschaftlich ist textilbasiertes Bauen bisher auch mangels standardisierter Testverfahren noch nicht. Soll etwa eine Brücke auf Grundlage von Hightech-Fasern errichtet werden, muss diese eine „Zustimmung im Einzelfall“ erhalten. Das bedeutet: Sie wird einmal vollständig aufgebaut, dann bis zur Zerstörung tonnenschwer belastet, um mit den dabei ermittelten Zahlen schließlich die echte Brücke zu bauen. Über vereinzelte teure Referenzprojekte kommt damit kein wirtschaftlich handelndes Unternehmen hinaus. Doch die Hürden beginnen zu bröckeln.

TUDALIT-Verbandsgeschäftsführer Roy Thyroff sieht bei Zulassungsfragen mittlerweile „klar erkennbare Signale“ für den verstärkten Einsatz von 2- und 3D-Textilien als Betonbewehrung. Wer wie Deutschland in einer betontextilen Vorreiterrolle voranschreite, müsse als erster solche Schwierigkeiten wie Akzeptanzmangel oder Zulassungsprobleme überwinden und folglich auch die dazu passenden zerstörungsfreien Prüfmethoden entwickeln. „Wir haben berechtigte Hoffnungen, im Frühjahr die erste allgemeine bauaufsichtliche Zulassung für den Einsatz von TUDALIT speziell für die Instandhaltung und Sanierung zu bekommen.“ Weitere notwendige Genehmigungen könnten dann darauf aufsatteln und so den Weg für breite Anwendungen ebnen. Start frei also für die Baurevolution aus der Nische?

45 Mio. BMBF-Euro für Carbon am Bau
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) scheint von der Zukunftsfähigkeit des Materials Carbon überzeugt. Im Rahmen der Initiative „Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation“ wurden Mitte 2013 für zehn Konsortien – Verbünde aus Forschungseinrichtungen und Unternehmen – aus den Neuen Bundesländern insgesamt 500 Mio. Euro Fördergelder bereitgestellt. 45 Mio. Euro erhält das Konsortium „C3 – Carbon Concrete Composite“, dessen 79 Verbundpartner aus verschiedenen Forschungs- und Wirtschaftsbereichen das Bauen und die Instandhaltung wirtschaftlicher, effizienter und ökologisch nachhaltiger gestalten wollen. „Wir wollen in den kommenden zehn Jahren bei Neubauten etwa 20 Prozent der Stahl- durch Carbon-Bewehrung ersetzen – damit streben wir einen echten Paradigmenwechsel im Bauwesen an“, gibt Konsortialführer Prof. Manfred Curbach das Ziel vor.

www.textilforschung.de, www.tudalit.de, www.carbon-concrete-composite.de

Abdruck gegen Belegexemplar/Link und Quellenangabe kostenfrei.

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