Der Klimawandel scheint im Zuge der Corona-Pandemie in den Hintergrund gerückt, raus aus dem öffentlichen Bewusstsein. Einerseits. Andererseits schärft die COVID-19 Epidemie die Sinne. Sie macht deutlich, dass man Vorkehrungen treffen muss, um von einer Entwicklung nicht völlig überrollt zu werden. Das gilt auch und mehr denn je für den Klimawandel.
Um diesen Einhalt zu gebieten, ist die Baubranche mehr denn je gefragt, Lösungen zu finden. Gut, wenn sich Ingenieure, Verarbeiter und kreative Köpfe zusammentun. Sie alle müssen eine Formel finden, die bei der Realisierung von Gebäuden und Städten Klimaneutralität anstrebt. Die Zutaten lauten Energieeffizienz, Recycling, Nachwachsen und Resilienz.
Wissenschaftler sind sich weltweit einig: Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Orkane, Gewitter oder Dürren sind das „Wetter“ der Zukunft, es sei denn, es gelingt, die Erderwärmung auf deutlich unter 2°C gegenüber dem vorindustriellen globalen Temperaturniveau zu begrenzen. Exakt dieses Ziel schrieben die Vereinten Nationen 2015 im Pariser Klimaabkommen fest. Zunächst mit wenig Erfolg. Erst Ende 2019 löste sich die festgefahrene Situation auf. Das Europäische Parlament rief den Klimanotstand aus und Deutschland einigte sich gemeinsam mit seinen europäischen Partnern auf ein Verfahren, in Europa den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Dazu vereinbarten die Europäer verbindliche Ziele, die bis 2030 erreicht werden müssen; allen voran das Ziel der Netto Nullemissionen bis 2050 in Europa. Höchste Zeit für die Realisierungsphase!
Wichtige Rolle für Bauindustrie bei Emissionsminderung
Die Baubranche brachte zwar in den letzten Jahrzehnten viele Innovationen im energieeffizienten Planen und Bauen auf den Weg, gleichzeitig verantwortet der Gebäudesektor 14 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland. (eigentlich sind es sogar 28 Prozent, denn weitere Emissionen entstehen bei der Herstellung von Strom und Fernwärme oder von Baustoffen). Mithilfe bestehender Instrumente wie der EnEV oder KfW-Förderprogrammen werden zwar im Jahr 2030 einschlägige Emissionsminderungen erwartet, was aber nicht ausreicht, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Die Bundesregierung geht von einer Ziellücke von rund 20 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr aus. Diese soll durch einen Mix aus verstärkter Förderung, Information und Beratung, durch die Bepreisung von CO2 sowie durch Ordnungsrecht geschlossen werden. Dazu gehören diverse Förderungen beispielsweise für energetische Gebäudesanierungsmaßnahmen, Erneuerungen von Heizanlagen oder Energieberatung. Einzelne Objekte stehen dabei nicht mehr allein im Fokus der Förderungen, inzwischen gibt es Zuschüsse für energetische Stadtsanierungen aus einem gleichnamigen Förderprogramm. Diese betrachten Gebäude im Kontext ihrer Umgebung, alle zusammen bilden ein energieeffizientes Quartier. Energie-Defizite des einen werden mit Überschüssen der Nachbarn ausgeglichen.
Regenerative Energie – Vorbild Skandinavien
Das norwegische Architekturbüro Snøhetta realisierte im Jahr 2019 in Trondheim mit dem Powerhouse Brattørkaia solch einen Gebäudetypus. Die mit PV verkleidete Gebäudehülle produziert trotz der Lage im hohen Norden Energie im Überschuss und deckt damit einerseits seinen täglichen Eigenbedarf und versorgt andererseits die nahe gelegenen Gebäude und angebundene Verkehrsmittel wie Elektrobusse, Autos und Boote über ein lokales Mikro-Netzwerk. Sicher keine konzeptionelle Eintagsfliege, wenn man bedenkt, dass auch in Deutschland in den letzten Jahren die Nachfrage nach Photovoltaikanlagen stark gestiegen ist. Neben günstigeren Preisen für solche Anlagen gefällt den Bauherren vor allem die Idee, den selbst erzeugten Strom auch selbst zu nutzen und gespeicherte Energie dank der hoch entwickelten Lithium-Ionen-Akkus E-Mobilitäts-Angeboten zur Verfügung zu stellen.
Abfallreduzierung durch Einsatz von alternativen Baustoffen
560 Millionen Tonnen – und somit 90 Prozent – aller in Deutschland verwendeten mineralischen Rohstoffe werden jedes Jahr zur Herstellung von Baustoffen eingesetzt, an 54 Prozent des Abfallaufkommens ist die Branche beteiligt, so rechnet es die Deutsche Bundesstiftung Umwelt vor. Und global betrachtet ist die Zementherstellung für mehr CO2-Emissionen verantwortlich als der gesamte Luftverkehr. Die Wahl des Baumaterials spielt also eine große Rolle angesichts des enormen Rohstoffverbrauchs. Neben Beton, Stahl, Glas, Mauerwerk oder Holz reihen sich künftig zahlreiche neue Namen ein wie zum Beispiel Typhaboard, ein Baustoff aus Rohrkolben und mineralischem Bindemittel. Er ist vollständig kompostierbar und eignet sich für tragende und dämmende Wandelemente. Daran forscht gerade die Fraunhofer-Allianz Bau. Ebenso unter der Forscher-Lupe liegen sogenannte „Phase Change Materials“ (PCM) auf Basis von Zuckeralkoholen für Latentwärmespeicher oder Bio-Hybrid-Faserverbundkunststoffe u.v.m.
Erstes Carbonbeton-Haus Ende 2020 in Deutschland
Im schweizerischen Dübendorf werden bereits innovative Materialien in der Praxis getestet. 2016 ließ dort die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt ein viergeschossiges Forschungsgebäude errichten. NEST heißt es (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) und es beherbergt unter anderem das Modul UMAR, das unter der Federführung von Prof. Werner Sobek zusammen mit Dirk Hebel und Felix Heisel geplant wurde. UMAR steht für Urban Mining and Recycling. Das bewohnte Modul ist das erste Gebäude überhaupt, das abgesehen von der tragenden Holzkonstruktion vollständig aus Rezyklaten besteht. Ebenfalls als Experimental-Gebäude konzipiert, entsteht Ende 2020 das erste Carbonbeton-Haus in Dresden. Bei der Carbonbauweise ersetzen Carbongitter die Stahlarmierung. Carbonbeton gilt als langlebiger, fester und leichter als Stahlbeton und könnte die Architektur revolutionieren: Da Carbon nicht rostet, sind keine dicken Betonschichten notwendig wie beim Stahlbeton, was natürlich Ressourcen spart, filigranes Bauen ermöglicht und zu weniger Energieverbrauch und geringerem Kohlendioxidfreisetzung in der Zementproduktion führt.
Resilienz: Der optimale Umgang mit Veränderungen
Während Architekten und Stadtplaner in den letzten Jahrzehnten vorwiegend über die Realisierung energieeffizienter Gebäude diskutierten, fordern sie nun immer mehr die Realisierung von resilienten Bauwerken und Städten ein. Per Definition ist mit Resilienz die Kapazität eines Systems gemeint, mit Veränderungen umzugehen und sich weiterzuentwickeln, wenn externe Störungen einwirken wie Naturkatastrophen oder Temperaturänderungen. Je mehr Störungen ein System aushält und je einfacher es sich neuen Bedingungen anpasst, als desto resilienter gilt es. Architekt und Stadtplaner Thomas Sieverts fasste Merkmale für resiliente Bauweisen zusammen: darunter technische Redundanz, einfache Austauschbarkeit und Dezentralität. Eine vorausschauende Planung jener Aspekte sei daher der beste Weg zur Resilienz am Bau.